Coronavirus

Spanien: Für viele Kinder ist der Sommer keine unbeschwerte Ferienzeit

Die Hauptstadt Madrid ist schon unter normalen Umständen im Sommer schwer zu ertragen. Temperaturen bis zu 40 Grad sind keine Seltenheit. Umso wichtiger ist es für Kinder und Jugendliche an einem sogenannten Campamentos de Verano teilzunehmen – einer Gruppenreise über mehrere Tage aufs Land oder ans Meer. Diese Freizeiten fallen dieses Jahr aber aus, wegen der Corona-Pandemie. Welche Alternativen verschiedene Organisationen trotz alledem entwickelt haben, erzählt diese Reportage.

31.08.2020

Der Verlust der Ferienfreizeiten ist für Familien in Madrid, einer Stadt mit über drei Millionen Einwohnern besonders schlimm, waren doch die Lockdown-Bestimmungen im Frühjahr in Spanien sehr viel strenger als in Deutschland. Wochenlang durfte niemand vor die Tür ohne triftigen Grund. Dementsprechend ausgehungert waren Kinder und Jugendliche nach Bewegung und Unterhaltung.

Eine Herausforderung für die Anbieter der Ferienfreizeiten. Dazu gehören sowohl private Organisationen als auch Stiftungen, NGOs oder Einrichtungen, die von der Stadt, Firmen, Banken oder Kirchen gefördert werden, damit Kinder und Familien mit geringem oder gar keinem Einkommen ebenfalls die Möglichkeit erhalten, sich zu erholen.

Jeden Tag wird die Temperatur gemessen

So bietet beispielsweise die Cáritas Madrid für rund 600 Kinder im Juli und August verschiedene Aktivitäten an. Diese finden dieses Jahr allerdings nur tagsüber und ohne Übernachtungen statt, damit den geltenden Hygiene- und Abstandsregeln entsprochen werden kann.

Trotzdem müssen die Kinder die ganze Zeit eine Maske tragen und streng auf den Sicherheitsabstand achten. Zusätzlich wird die Temperatur gemessen und jede Gruppe darf nur aus zehn Teilnehmern bestehen. „Viele Kinder stammen aus Familien, die aus wirtschaftlichen, sozialen oder finanziellen Gründen von uns unterstützt werden“, sagt Maria Blanc Fernandez-Cavada aus der Kommunikationsabteilung der Cáritas Madrid und ergänzt: „Aber durch unsere Tagescamps haben sie die Möglichkeit endlich wieder im Freien zu spielen, kulturelle Ausflüge zu unternehmen, oder auch Nachhilfe in bestimmten Schulfächern zu erhalten.“ Dieses Jahr wird unter anderem mit Eierkartons gebastelt, ins Schwimmbad gefahren oder etwas über den spanischen Nationalhelden Don Quijote gelernt.

Sommercamps über virtuelle Plattformen

Selbst die Allerkleinsten kommen nicht zu kurz wie die Bewohnerinnen des Hauses Hogar Santa Barbara. In diesem auch von der Caritas unterstützten Wohnprojekt leben junge Mütter und Schwangere, denen familiäre, finanzielle und soziale Unterstützung fehlt. Für sie steht samt Babys und Kinderwagen ein Tagesausflug in den Zoo auf dem Programm. 

Ein ganz neues Konzept hat dagegen das Kulturzentrum La Casa Encendida entwickelt. Das imposante Gebäude liegt in der Stadtmitte von Madrid, die Veranstaltungen richten sich an jede Altersgruppe und beschäftigen sich mit den Schwerpunkthemen Kultur, Bildung, Umwelt und Solidarität.

„Wir hatten schon immer vor, eine virtuelle Plattform zu gründen, sind aber nie dazu gekommen“, erzählt Monica Carroquino, die stellvertretende Direktorin. „Jetzt mit der Pandemie war endlich die Zeit da, das Projekt ,La Casa On‘ konkret umzusetzen.“ Das Konzept basiert auf der Idee mit Kindern und Jugendlichen, die zuhause vor dem Bildschirm sitzen, nur zu Beginn des Workshops mittels einer Video-Konferenz zu kommunizieren, um sie so auf die geplanten Aktivitäten einzustimmen. Danach müssen sie die Aufgaben ohne die Hilfe ihrer Eltern und offline in ihrer gewohnten Umgebung durchführen.

„Natürlich hatten wir Sorge, dass die Kinder schon die ganze Zeit während des Lockdowns viel zu viel vor dem Bildschirm gesessen haben. Deswegen ist uns ganz wichtig die Kinder mit diesen Workshops wieder dazu zu bringen, abseits des Internets kreativ zu sein“, erklärt Maria Carroquino. 

Wir machen uns die Hände schmutzig

Eins der ersten Projekte von La Casa On war das einwöchige Online-Camp „Misión Planeta“, beworben mit dem Slogan: „Es ist Zeit sich die Hände schmutzig zu machen.“ Hierfür wird an die Kinder ganz altmodisch per Post ein Garten- und Schreibset verschickt, mit dem sie während des virtuellen Workshops die Aufgaben lösen und erarbeiten können. Experimentiert wird mit Ton, Erde, Wasser und Pflanzen.

Konkret heißt das: Wenn das Paket mit den Workshopmaterialien zuhause bei den jeweiligen angemeldeten Kindern angekommen ist, versammeln sich diese Kinder gemeinsam über La Casa On morgens an jedem Tag des Workshops per Videokonferenz vor dem Bildschirm – aber nur, damit ihnen von der Wokshopleiter/-in erzält wird, was sie machen sollen. Nach den Erklärungen fängt jedes Kind alleine für sich an, Erde umzugraben oder Pflanzen auszusäen. Am Ende des Tages versammeln sich die Teilnehmenden wieder vor dem Bildschirm unter der Leitung von La Casa On und berichten von ihren Erfahrungen oder laden Fotos hoch. 

„Die meisten Eltern sind sehr froh, dass sie ihre Kinder nicht in eine Präsenz-Gruppe schicken müssen, wo sie sich vielleicht anstecken könnten“, sagt Maria Carroquino und gibt zu Bedenken. „Viele Familien in Madrid stehen im engen Kontakt mit den Großeltern, die sie nicht durch eine Infektion mit COVID-19 gefährden wollen.“ Am Anfang hatten sich die Organisatoren von La Casa On auch Sorgen gemacht, ob das Projekt überhaupt angenommen wird. Vielleicht sind viele Kinder, Jugendliche und Eltern schon müde vom Homeschooling – so ihre Befürchtungen. „Aber das Gegenteil ist der Fall“, erklärt Maria Carroquino: „Die meisten haben sich durch die Corona-Krise schon an die Kommunikation über Videoplattformen gewöhnt.“ Angeboten werden die Workshops für Kinder von sieben bis 12 Jahre. Mitmachen können immer 20 Teilnehmer/-innen. Wenn Familien weder ein Laptop oder Tablet zur Verfügung steht, wird die nötige digitale Ausstattung mit Hilfe einer gemeinnützigen Partnerorganisation bereit gestellt.

Viele Kinder hungern wegen der Pandemie

Einem ganz anderen Problem hat sich die internationale NGO Educo mit ihrem Hauptsitz in Madrid zugewandt. Neben Ein-Tages-Sommercamps und diversen Bildungsprogrammen bietet die Organisation wegen der Pandemie vermehrt sogenannte Kantinenstipendien für Kinder und Jugendliche an. Willige Spender, um diese Aktion finanzieren zu können, werden über die Webseite der NGO angeworben.

Der Grund: Mehr als 2,5 Millionen Kinder sind in Spanien durch die Pandemie von Armut und Hunger bedroht. Die Lage ist teilweise dramatisch. Die Presse spricht sogar schon von sogenannten Hungerschlangen. Allein in Madrid sind rund 100.000 Menschen, meist weil der Job weggebrochen ist, auf Suppenküchen angewiesen. 

Kinder brauchen ihre Freunde zum Spielen

Die Direktorin von Educo in Spanien Macarena Céspedes erinnert aus diesem Anlass daran, dass bei weitem nicht für alle Kinder der Sommer eine unbeschwerte Zeit darstellt. Im Gegenteil, tausende von Kindern in Spanien leiden besonders in der Ferienzeit darunter, dass sie weniger privilegiert sind als andere – weil sie eben nicht verreisen können, sondern zuhause bleiben müssen. Entweder haben ihre Familien für Urlaub kein Geld oder die Eltern müssen arbeiten „Der Sommer ist die Zeit, in der die Ungleichheit während der Kindheit am deutlichsten sichtbar wird“, so ihr Fazit. 

Deswegen hat Educo zusammen mit anderen sozialen Einrichtungen Workshops ins Leben gerufen, bei denen Kinder und Jugendliche nicht nur täglich eine komplette Mahlzeit bekommen, sondern auch pädagogisch betreut werden. Dazu gehört ebenso, ihnen zu vermitteln wie sie im Netz mit den Sozialen Medien verantwortungsbewusst umgehen.

In anderen Kursen beschäftigen sich die Teilnehmenden spielerisch mit ihren Gefühlen, um den Lockdown emotional verarbeiten zu können. „Außerdem ist es sehr wichtig für die Entwicklung der Kinder, dass sie mit Gleichaltrigen spielen, reden und streiten“, erklärt Macarena Céspedes. „Gerade der Kontakt zu ihren Freunden trägt dazu bei, dass sie sich nach dieser besonderen Zeit wieder anfangen wohlfühlen.“

Autorin: Caroline Schmidt-Gross

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