Jugend im Lockdown

Portugal in der „zweiten Welle“

Wie es jungen Menschen in Portugal in der Pandemie ergeht, darüber erfährt man hier wenig. Dabei befindet sich das Land ebenfalls in einem erneuten Lockdown. Einiges ist aber über die portugiesische NGO Movijovem zu erfahren. Sie betreibt ein kleines Netz aus Jugendherbergen im Land und ist deswegen nah dran an der jungen Generation.

04.12.2020

Movijovem hat zum Ziel allen Jugendlichen in Portugal ein sicheres, wirtschaftliches und komfortables touristisches Unterkunftsnetz zur Verfügung stellen, das aus sozialen und kulturellen Interaktions- und Austauschräumen besteht und sie miteinander verbindet. Über die momentane Situation berichtet die Mitarbeiterin Isabel Correia:

„Zum Glück geht es uns allen gut, zu Hause und bei Movijovem. In unserer Zentralstelle hatten wir bereits einen positiven Fall, aber sonst war niemand infiziert, nicht einmal der Ehemann oder die Kinder dieser Kollegin. In den Jugendherbergen hatten wir zwei Fälle, aber die Familien waren nicht infiziert und auch keine Gäste. Bis jetzt waren dies die einzigen beiden Fälle.

In Portugal sind die Bars geschlossen, Restaurants schließen um 22.30 Uhr und am Wochenende schließt alles um 13.00 Uhr, auch die Supermärkte können geöffnet bleiben. Homeoffice ist obligatorisch, wann immer es möglich ist – die Bürger/-innen müssen generell so viel wie möglich zu Hause bleiben.

Jugendherbergen werden vom Gesundheitsamt genutzt

Was Movijovem betrifft, so sind die Herbergen seit Anfang Juli geöffnet. Die Sommermonate waren angesichts der Pandemie ganz in Ordnung. Wir hatten etwa 45 Prozent der Belegung und Einnahmen des letzten Jahres, aber seit Ende September gibt es keine Gäste mehr, nur noch einige wenige Wanderarbeiter und Auswanderer, meist Brasilianer, die eine Unterkunft brauchen, bis sie ein Zuhause finden.

Die meisten Herbergen werden – wie auch schon vor der Pandemie – im Monat Dezember schließen und kurz nach Weihnachten wieder öffnen. Wir haben fünf Herbergen, die für die Öffentlichkeit geschlossen bleiben, weil sie von den Gesundheitsbehörden zur Bekämpfung der Pandemie angefordert wurden, nämlich die beiden Herbergen in Lissabon und zusätzlich Porto, Alijó und Aveiro. Weitere Herbergen können jederzeit angefordert werden. Die beiden Herbergen in Lissabon sind seither nicht wiedereröffnet worden.“

Generell leidet auch in Portugal besonders die Jugend unter der Corona-Krise. Nach einem Stimmungsbericht der Nationalen Schule für Öffentliche Gesundheit sind die Menschen, die in den Jahrzehnten 1980 und 1990 geboren wurden, diejenigen, die stärker von Einkommensverlusten betroffen sein werden, und die sich eher mit Covid-19 infizieren werden.

Jugendliche wohnen wieder bei der Familie

Filipe Santiago Lopes, 22 Jahre, ist Master-Student in Management und musste Lissabon verlassen, wo er bis zur Krise lebte und arbeitete. „Ich kehrte in meine Heimatstadt zurück, um während dieser Krise bei meinen Eltern zu bleiben. Während dieser Zeit verlor ich meinen Job, ein Praktikum für meinen Master-Abschluss. Das reguläre Leben, das im März eigentlich nur unterbrochen sein sollte, ist also im Grunde genommen verschwunden. Dieses ‚reguläre Leben‘ war also eine Phase, zu der ich nie mehr zurückkehren und sie abschließen kann“, berichtet er traurig.

Ähnlich ergeht es Maiana Nunes: Mit ihren 24 Jahren fühlte sich die junge Frau zu Beginn des Jahres nach der Prüfungssaison sehr gestresst, aber sie war hoffnungsvoll, dass die Monate danach neue Chancen und Herausforderungen bringen würden. Die Corona-Krise änderte ihre Planungen. „Im März musste ich einige dieser Chancen aufgeben. Ich fühlte mich pragmatischer und konzentrierte mich mehr auf die Gegenwart. Und ich fühle mich immer noch so, obwohl ich mir jetzt etwas mehr Sorgen um die Zukunft mache“, erzählt sie im Interview. Mariana ist Buchhändlerin in Lissabon, sie lebt noch bei ihren Eltern und arbeitet an einen Master in Verlagswesen. Und dann sagt sie noch: „Ich bin mir derzeit nicht sicher, wie man einen Job finden soll mit diesem Studienabschluss.“

Viele haben Angst vor der Zukunft

Und noch eine junge Frau kämpft. Catarina Vieira da Silva, 20 Jahre alt, schließt ihr Studium der Kommunikation ab und betont, dass einige Leute „diese momentanen Erfahrungen romantisieren“, was sie ablehnt. „Es gibt Leute, die sagen, diese Zeit sei großartig. Weil man Zeit für sich selbst und für die Familien hat, weil man Arbeit nachholen kann. Ich bin mit diesen Ansichten nicht einverstanden. Viele Menschen haben andere Gedanken – im Zusammenhang mit der Arbeit, dem Studium oder sogar mit einer allgemeinen Angst vor der Zukunft und all dem Leid, das die Menschen durchmachen“. Die junge Studentin aus Mora in der Provinz Alentejo war zu Beginn des Jahres noch zuversichtlich, weil sie glaubte, dass sie im Juni oder Juli ihr erstes Praktikum beginnen würde. Jetzt denkt sie über ein weiteres Studium nach – um Zeit bis zur Erholung des Arbeitsmarktes zu gewinnen.

„Ich hatte gehofft, dass diese Krise zu einigen großen Veränderungen führen wird. Zum Beispiel auf unsere Sicht auf unsere Gesundheit. Aber alles ist irgendwie dasselbe, wir müssen immer noch unser Leben riskieren, um zu arbeiten und unseren Lebensunterhalt zu bestreiten, manchmal ohne die notwendigen Gesundheitsmaßnahmen zu ergreifen. Geld regiert die Welt“, sagt Diogo Silva, der sich in seinem letzten Jahr an der juristischen Fakultät befindet.

Improvisierte Talkshow gibt Menschen Hoffnung

Miguel Rocha, ein 21-jähriger Student der Informatik in Técnico Lisboa, der größten Ingenieurschule Portugals, stammt aus einer kleinen Stadt namens Cucujães im Norden Portugals. Er spricht über die Veränderungen in seinem Leben während dieser Zeit: „Meine Hochschule führte schnell Online-Kurse ein, so dass meine tägliche Routine des Pendelns völlig verschwand. Das Haus habe ich nur für die nötigsten Erledigungen verlassen, vor allem zum Einkaufen oder für gelegentliche nächtliche Spaziergänge. Was meine Arbeit anbelangt, so wurde ich wegen Kontakt mit einer möglichen Covid-19-Infektion unter Quarantäne gestellt, bevor irgendeine Art von ‚Heimarbeits‘-Maßnahmen eingeführt wurde. Ich habe dadurch einige Arbeitstage versäumt.“

Die portugiesischen Jugendlichen führen ihr Leben jetzt zuhause. Online-Konzerte, Fernkongresse und Live-Fitnesskurse tauchten bei Instagram und Facebook auf. Aber überraschenderweise war es eine improvisierte Talkshow, die die Gespräche übernahm und zu einem Erfolg wurde und täglich die Aufmerksamkeit von Hunderttausenden von Menschen erregte. „Como É Que O Bicho Mexe“, was grob mit „Wie der Käfer sich bewegt“ übersetzt werden kann, wurde von Bruno Nogueira moderiert und brachte Dutzende von Künstlern und nationalen Stars zusammen, die an diesen Live-Videos teilnahmen. Darunter waren die Fussballspieler Cristiano Ronaldo, Bruno Fernandes und Bernardo Silva, aber auch der Athlet Nelson Évora oder Catarina Furtado, eine der portugiesischen Eurovisions-Gastgeberinnen.

In diesem Jahr waren die Feierlichkeiten zum 25. April, dem Tag der Freiheit und Jahrestag der Nelkenrevolution, anders und weniger frei als üblich. Während dieser Live-Show ritzte Vhils, ein Straßenkünstler, dessen Arbeit über die portugiesischen Grenzen hinaus bekannt ist, das Gesicht des Liedermachers José Afonso in eine Wand ein. Er ist Autor der Revolutionshymne „Grândola Vila Morena“. Parallel zu seiner Aktion wurde das Lied gespielt, und fast siebzigtausend Menschen verfolgten diese Show live. „Das war einer der aufregendsten und denkwürdigsten Momente dieser langen Wochen“, erzählt Diogo Silva.

Feiern auf dem Balkon

In der letzten Episode, die in der Nacht vom 16. Mai ausgestrahlt wurde, forderte der Moderator die Zuschauer auf, Weihnachtsdekoration zu verwenden und zu feiern. Hunderte von Menschen, vor allem Jugendliche, stellten Lichter in die Fenster und auf die Balkone und sogar an den Autos an und feierten in diesem Moment des Zweifels gemeinsam. Die Aktion war wie ein frischer Wind von einer Bevölkerungsgruppe, die von dieser Krise schwer betroffen sein wird.

Diogo sagt, dass Bruno für seine besten Erinnerungen an diese Zeiten verantwortlich ist. „Er hat mir Gesellschaft geleistet. Manchmal waren die Nächte ziemlich einsam, und es war eine Erleichterung, zufällige Leute zu sehen, die von Nogueira eingeladen worden waren, um nachts zwei Stunden lang mit ihm über normale Dinge zu reden. Wir konnten lachen und vergessen, was draußen geschah (…) Wenn man in den Nachrichten nur den Tod hört und die Leute von einem unsichtbaren Virus infiziert werden, braucht es nicht viel, um einen zum Lachen zu bringen, und Bruno kam zur richtigen Zeit. Es war perfekt.“

Quelle: Pressenetzwerk für Jugendthemen e.V. in der Reihe „Jugend im Shutdown“ veröffentlicht am 24. November 2020 und 23. Juni 2020

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