Ausland

Mutig durch die Krise – In Dänemark sind die Kitas schon seit Ostern wieder geöffnet

In Dänemark dürfen Kindertageseinrichtungen seit Mitte April wieder öffnen.

Rund 250.000 Kinder gehen seit Mitte April in Dänemark wieder regelmäßig in eine Tageseinrichtung – trotz Corona. Ein Ansteigen der Infektionsrate gab es deswegen nicht. Welches Fazit ziehen die dänischen Nachbarn nach knapp drei Monaten? Die Redaktion des Fachkräfteportals der Kinder- und Jugendhilfe schaut in dieser Reportage über die Grenze und lässt Fachkräfte, Eltern und die Wissenschaft zu Wort kommen.

14.07.2020

Katharina arbeitet seit mehr als drei Jahren im „Dänisch Deutsches Kinderhaus“ in Kopenhagen. Die 30-Jährige sagt: „Wir waren auch erstaunt über diese Entscheidung. „Kleine Kinder achten ja nicht auf Hygiene. Sie popeln in der Nase und schmieren sich dann den Rotz an die Hose. Wie soll man darauf aufpassen?“ Deswegen gab es von der Politik und aus der Wissenschaft eine lange Liste von Maßnahmen: Die Kinder müssen untereinander einen Abstand von zwei Metern halten, eine Gruppe darf nur aus maximal fünf Kindern bestehen, die Kinder müssen alle zwei Stunden die Hände waschen; Türklinken, Spielzeug, Tische und Waschräume müssen mindestens zwei Mal am Tag desinfiziert werden – um nur einige zu nennen.

Für die Umsetzung der Regeln sind in Dänemark die Kommunen zuständig. Das heißt, in jeder Region waren und sind die Vorgaben unterschiedlich. „Davon abgesehen änderten sich die Vorschriften manchmal fast stündlich, dann haben wir eben in der Behörde angerufen und nachgefragt“, erklärt Katharina. Letztlich war aber jede Tageseinrichtung wie auch in Deutschland auf sich gestellt. Gefragt waren in dieser Situation Organisationstalent, logistisches Geschick, Kreativität, Einfühlungsvermögen und behutsame Kommunikationsführung.

Zäune auf dem Spielplatz

Das „Dänisch Deutsches Kinderhaus“ hat als erstes zwei neue Betreuer eingestellt und die Aufteilung der Gruppen nach Alter aufgelöst. So konnten die Geschwisterkinder zusammenbleiben, um das Infektionsrisiko für die Angehörigen zu reduzieren. Der Spielplatz wurde mittels Zäune in mehrere Zonen aufgeteilt. Die Kindergruppen mussten abwechselnd im Freien spielen.

Bild: Dänisch Deutsches Kinderhaus

Die Bücher bekamen ein neues Regal, mit sieben Nischen für jeden einzelnen Wochentag. Nachdem ein Kinderbuch durchgelesen wurde musste es drei Tage weiter zurück ins Fach gestellt werden, um die neuen Hygieneregeln einzuhalten.

Aber auch die Eltern mussten sich an die neue Situation gewöhnen. Während viele froh waren entweder wieder zur Arbeit zu gehen oder ungestört im Homeoffice sitzen zu können, fürchteten sich andere durch die schnelle Öffnung vor einer neuen Ansteckungswelle. In kürzester Zeit gründeten Zweifler auf Facebook eine Gruppe mit dem Namen „Mit barn skal ikke være forsøgskanin for covid-19“. Das heißt ins Deutsche übersetzt: „Mein Kind soll kein Versuchskaninchen für Covid-19 sein.“ Inzwischen hat die Gruppe über 40.000 Mitglieder. Folgt man den Kommentaren, sind die meisten beigetreten, um sich hier auch allgemein über ihre Sorgen in der Corona-Krise austauschen zu können.

Öffnung nach Risikoanalyse

Warum die dänische Politik trotz allem die Kitas so früh öffnete, erklärt Christian Wejse. Der Wissenschaftler ist Arzt und Experte für Weltgesundheit und Infektionserkrankungen an der Uniklinik in Aarhus und war früher an der renommierten und zurzeit viel zitierten Johns Hopkins University in den USA. Entscheidend für seine Empfehlung war, dass Mitte April in Dänemark die epidemiologische Kurve fiel. Zugrunde lag außerdem eine Risikoanalyse. Demnach gingen die Wissenschaftler davon aus, dass für junge Kinder kaum eine Gefahr besteht schwer zu erkranken im Gegensatz zu den Älteren in der Bevölkerung.

Bild: Dänisch Deutsches Kinderhaus

Inga war jedenfalls froh, als sie ihre drei Kinder (fünf, drei und ein Jahr alt) wieder in die Kita bringen konnte. Die vier Wochen während des Shutdowns hat ihre Familie trotzdem ganz gut überstanden. Auch mit Hilfe ihrer Kita. Von dort gab es Bastelideen und kleine Turnvideos. Normalerweise arbeitet die 36-Jährige aber als Unternehmensberaterin in Vollzeit. Während ihr ältester Sohn sich freute, weil er seine Freunde vermisst hatte, musste sich der Jüngste erst wieder an die neue alte Situation gewöhnen. Zudem gab es einige Veränderungen: Die Bringzeiten wurden morgens in Zehn-Minuten-Intervalle gestaffelt, damit nicht alle Eltern ihre Kinder gleichzeitig abgeben. In das Gebäude selbst durften Mütter und Väter nicht mehr. Die Übergabe fand am Eingangstor statt.

Tränen am Kita-Tor

Eine Situation, die der Kita-Mitarbeiter Asger, 23 Jahre als sehr belastend empfand. Er hatte sein Vorstellungsgespräch in der Kita „Fuglebakken“ in Kopenhagen zufällig am 20. März 2020. Genau an dem Tag, als der Shutdown in Dänemark verkündet wurde. So bekam er zwar eine Zusage, aber anfangen konnte er erst vier Wochen später. Dann wurde er aber auch dringend gebraucht. Asger betreut in der Krippe die kleinen Kinder im Alter um die 12 Monate. „Das war schon schwer sie am Kita-Tor entgegen zu nehmen. Einige haben natürlich geweint.“ Das lag nach seinen Worten zum einen daran, dass diese Situation für die Kinder ungewohnt war, zum anderen, dass Asger neu war und die Kinder ihn nicht kannten.“ „Wenn die Eltern mit in die Garderobe kommen, ist das eine ganz andere Atmosphäre. Dann unterhalten wir uns und die Kinder merken, dass es völlig ok ist, dass sie jetzt hier bleiben. Das ist total wichtig“, ergänzt Asger.

Auch die Umsetzung der Abstandsregeln zwischen Krabbbelkindern stellte sich als schwer realisierbar heraus, zumal das meiste Spielzeug fehlte. Selbst die LEGO-Steine mussten aus Hygienegründen weggeräumt werden. „Ich habe dann meine Gitarre mitgebracht, mich in die Mitte des Raumes gesetzt und Musik gemacht“, erzählt Asger. So hatte er die Aufmerksamkeit der Kinder auf sich gerichtet und ihre Bewegungen sowie die Abstände ganz gut im Blick.
Es gab aber auch Eltern, die ihre Kinder freiwillig länger zuhause behalten haben. Entweder um die Kitas zu entlasten, weil sie zur Risikogruppe gehörten oder sie sich Sorgen um eine Infektion ihrer Söhne und Töchter machten. Die Kita von Inga hatte für diese Eltern sogar ein spezielles Angebot. Wer sein Kind nicht in die Kita brachte, bekam den fraglichen Monatsbeitrag erstattet. Eine weitere Idee, um die neue Platzregel für jedes Kind, nämlich sechs Quadratmeter, erfüllen zu können.

Mehr Kuscheleinheiten

Nach Beobachtungen sowohl der Erzieherinnen und Erzieher als auch der Eltern haben gerade die älteren Kita-Kinder zunächst entspannt auf die veränderte Betreuungssituation reagiert. „Das war ja auch alles neu und aufregend“, sagt Katharina. Das fremdeln mit den Corona-Bedingungen kam zeitverzögert und erst nach etwa zwei Wochen. „Das ist meistens so“, sagt sie. Die Kinder hätten gemerkt, dass diese spezielle Situation nicht aufhört, sondern bleibt. Aufgefallen ist das Katharina am Verhalten der Kinder. „Die hingen einfach mehr durch und brauchten öfters Kuscheleinheiten.“

Bild: Privat

Inzwischen ist schon fast wieder Alltag in den dänischen Kitas eingekehrt. Die Öffnungszeiten sind wie früher und die Gruppenzusammenstellungen auf den sogenannten Stuben ähnlich wie vor der Corona-Zeit. Was bleibt sind mehr Ausgaben für Hygienemittel und ein höherer Bedarf an Fachkräften. Dieser hat unter den Corona-Bedingungen noch einmal massiv zugenommen. Deswegen fordert die dänische Gewerkschaft für Erzieher/-innen und Pädagog(inn)en BUPL in einer aktuellen Stellungnahme von der Politik, dass mehr Fachkräfte ausgebildet werden müssen, um dem zunehmenden Einstellungsbedarf durch kleinere Gruppen in den Tageseinrichtungen und neue Hygienestandards wegen der Corona-Pandemie entsprechen zu können.

Weniger gestritten und geweint

Es gibt nach Aussage der BUPL aber auch positive Erfahrungen nach den ersten Wochen mit dem Betreuungskonzept unter Corona-Bedingungen. Eine kürzlich durchgeführte Studie, an der rund 13.000 Fachkräfte teilgenommen haben, kommt zu dem Ergebnis, dass fast die Hälfte der Fachkräfte den neuen Betreuungsschlüssel – weniger Kinder, mehr Betreuer/-innen – als angenehm empfunden haben.

Ein Studienteilnehmer hat sogar die Beobachtung gemacht, dass die Kinder sich so wohler gefühlt hätten. Es wurde weniger geweint und gestritten. Laut Umfrage hätten sogar die meisten Fachkräfte mehr Zeit gehabt, um sich speziell um schutzbedürftige Kinder zu kümmern. Außerdem sei es einfacher gewesen, Aktivitäten außerhalb der Kita zu realisieren.

Auch Christian Wejse ist zufrieden. Sein Fazit nach mehr als zwei Monaten: „Es hat sich gezeigt, dass der Kindergarten der beste Ort ist, um mit der Öffnung der Gesellschaft zu beginnen. Nach wie vor, scheint bei Kindern das Risiko eines schweren Verlaufs oder sogar einer Ansteckung sehr gering zu sein. Die Auswirkung der Öffnung von Kindergärten und Schulen auf die Verbreitung des Virus in Dänemark war gleich Null.“

Sicherlich aber auch aufgrund der immensen Anstrengungen der Mitarbeiter in den Kinder-Tageseinrichtungen. Denn, dass all die vielen Regeln gewissenhaft und verantwortungsvoll umgesetzt wurden und teilweise noch werden, ist ihnen zu verdanken. Kontrolliert hat es nach Aussage der dänischen Gesprächspartner niemand.

Autorin: Caroline Schmidt-Gross

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