Coronafolgen

Mehr junge Menschen psychisch belastet – Wie Österreich die Probleme angeht

Nicht nur in Deutschland ist die Zahl der von psychischen Problemen betroffenen Kinder und Jugendlichen in Zeiten der Coronapandemie gestiegen – auch in Österreich stellt dies ein massives Problem dar. Welche Strategien die Alpenrepublik verfolgt und welche Forderungen an die Politik gestellt werden, stellt die Bundesjugendvertretung dar.

04.11.2021

Laut Bundesjugendvertretung (BJV) sind in Österreich eine Million Kinder und Jugendliche von psychischen Problemen betroffen. Im Vorfeld des Mental Health Day machte die BJV auf den akuten Handlungsbedarf im Bereich der psychischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen aufmerksam.

„Kinder und Jugendliche sind enorm von den Auswirkungen der Pandemie betroffen. Bei vielen hat sich die psychische Gesundheit massiv verschlechtert“, so BJV-Vorsitzender Julian Christian. „Jedes 3. Kind und jede/-r 3. Jugendliche ist von psychischen Belastungen betroffen. Das heißt: eine Million junge Menschen leiden in Österreich unter psychischen Problemen.“ Dem gegenüber stünden mangelnde Versorgungskapazitäten. „In einigen Bundesländern gibt es derzeit keine Kinder- und Jugendpsychiater/-innen mit Kassenvertrag.“

Zahlreiche Studien belegen die dramatische Situation für Kinder und Jugendliche, verdeutlichte auch BJV-Vorsitzende Fiona Herzog: „Jede/-r 4. Jugendliche hatte bereits vor der Pandemie psychische Beschwerden. Derzeit leidet mehr als die Hälfte der Schüler/-innen an depressiven Symptomen, 16 % haben sogar suizidale Gedanken. Für uns als Interessenvertretung ist diese Situation alarmierend.“

BJV-Kampagne „Die Krise im Kopf“

Um Bewusstsein für die aktuelle Situation schaffen, hat die BJV die Kampagne „Die Krise im Kopf“ gestartet.

Herzog erklärt: „Die Krise im Kopf gehört leider für viele Kinder und Jugendliche zum Alltag. Sie betrifft Kinder und Jugendliche unterschiedlichster Altersgruppen und in verschiedenen Situationen in ihrem Leben. Das zeigen wir mit unseren Postkarten, Plakaten und Social Media Sujets.“

Außerdem bindet die BJV junge Betroffene ein und lädt junge Menschen ein, sich kreativ mit dem Thema auseinanderzusetzen. Bei der Mitmachaktion „Und wie geht es dir wirklich“ werden Kreativbeiträge gesammelt, um die Situation junger Menschen sichtbar zu machen. Mitmachen können alle Jugendlichen zwischen 14 und 30 Jahren bis Ende Dezember.

10-Punkte-Charta

Um den akuten Handlungsbedarf für die Politik aufzuzeigen, hat die BJV zudem eine 10-Punkte-Charta für die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen erarbeitet. Im Zentrum steht die Verbesserung der Versorgungslage:

  • Volle Kostenübernahme durch alle Krankenkassen und flächendeckend ausreichende Kapazitäten für Psychotherapie, Kinder- und Jugendpsychiatrie und funktionelle Therapien wie im Regierungsprogramm vorgesehen. Keine Kontingentierungen oder Deckelungen der Kapazitäten der Angebote.
  • Ausbau der psychosozialen Unterstützung an Schulen: Mindestens ein/-e Schulsozialarbeiter/-in für jeden Schulstandort und mindestens ein/-e Schulpsychologe/-psychologin pro 1.000 Schüler/-innen, um sicherzustellen, dass nicht nur Lehrpersonen sondern auch spezifisch ausgebildetes Personal für psychologische Beratung zur Verfügung steht.
  • Ausbau der niederschwelligen Angebote im Bereich telefonischer und digitaler, psychosozialer Beratung sowohl für Kinder und Jugendliche, als auch für Erziehungsberechtigte.
  • Einführung einer bundesweit einheitlichen universellen, einkommensabhängigen Kindergrundsicherung wie auch vom Rat der EU (COM/2021/137) vorgesehen: Damit wird soziale Sicherheit ermöglicht und Kinderarmut effektiv vermieden.
  • Verstärkte Prävention von Mobbing an Schulen und in anderen Bildungseinrichtungen, wie Ausbildungsbetriebe oder außerschulische Angebote. Ausbau von Schutzmechanismen für Kinder und Jugendliche im Internet, da Hate Speech, Online-Mobbing, Internetsucht etc. Brandbeschleuniger für psychische Erkrankungen sein können.
  • Junge Menschen, die mit psychoaktiven Suchtmitteln in Berührung kommen, sind besonders gefährdet, psychische Erkrankungen zu entwickeln. Deshalb braucht es verstärkt niederschwellige Aufklärung und Prävention an Schulen und in anderen Bildungseinrichtungen.
  • Weiterbildungsprogramme für Pädagog(inn)en, Jugendarbeiter/-innen und Multiplikator(inn)en, die dazu beitragen, ein Bewusstsein für mentale Gesundheit zu schaffen und die Stigmatisierung von psychischen Erkrankungen zu bekämpfen. So können diese als psychosoziale Ersthelfer/-innen agieren.
  • Vorbeugende Maßnahmen in Schule, Beruf und Freizeitangeboten setzen, die sicherstellen, dass junge Menschen das Wissen und die Fähigkeiten erwerben, die sie für ein besseres psychisches Wohlbefinden brauchen.
  • Das Recht auf Arbeit und Lernen für Menschen mit psychischen Krankheiten während und nach ihrer Erkrankung schützen, um sicherzustellen, dass alle jungen Menschen weiterhin ihre Ziele verfolgen können. Flächendeckendes Angebot an Lernalternativen für freigestellte Schüler/-innen.
  • Schaffung eines leichter zugänglichen und leistbaren Studien- und Ausbildungsangebots zum/zur Psychotherapeuten/-therapeutin.

Die Auswirkungen der Coronapandemie auf junge Menschen verstärkten dabei bereits vorhandene, kritische Situationen, wie die Bundesjugendvertreter/-innen betonten:

„Es darf nicht sein, dass die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen von ihrem Wohnort oder von der Geldbörse ihrer Eltern abhängt“, so Fiona Herzog.

Auch dem Bereich der Prävention komme eine starke Rolle zu: „Wir brauchen präventive Maßnahmen, beispielsweise gegen Mobbing. In Österreich sind 10 bis 20 % der Schüler/-innen Opfer von Mobbing. Aufmerksamkeit muss auch auf den Anstieg von Suchtphänomen gelegt werden, da diese Brandbeschleuniger für psychische Probleme sind“, untermauerte Christian.

„Die psychische Krise junger Menschen darf nicht zur versteckten Krise der Pandemie werden. Unser Ziel ist, dass jedes Kind, das psychische Unterstützung braucht, diese unmittelbar erhält. Eine Million Kinder und Jugendliche, die jetzt von psychischen Problemen betroffen sind, dürfen nicht allein gelassen werden“, so Herzog abschließend.

Quelle: Bundesjugendvertretung vom 07.10.2021

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