Im Gespräch

Jugend und Corona – Wie geht es jungen Erwachsenen, die zugewandert sind?

Im Interview berichten Muohamad Diish, Judi Sulaiman und Ithar Daghestani über ihre Erfahrungen.

Diesmal in unserer Gesprächsreihe über die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf junge Lebenswelten ist das Fachkräfteportal der Kinder- und Jugendhilfe mit drei jungen Männern aus Syrien im Dialog.

16.12.2020

Junge Menschen, die in den letzten Jahren zugewandert sind, stehen vor zahlreichen Herausforderungen. Es sind nicht nur die üblichen Hürden; nun sind es auch Virus-bedingte Barrieren, die sich ihnen in den Weg stellen. Wie meistern junge Menschen mit Fluchthintergrund die Krise? Welche persönlichen Erfahrungen machen sie und welche Wege finden sie für sich?

Im Interview berichten Muohamad Diish, Judi Sulaiman und Ithar Daghestani sehr persönlich über ihre Erfahrungen im Rahmen der Corona-Krise. Die jungen Männer leben seit einigen Jahren in Potsdam und absolvieren gerade ihr Fachabitur. Muohamad ist 21 Jahre alt und lebt mit seinem Bruder zusammen, der 25-jährige Judi wohnt in einem eigenen Appartment. Ithar, 20 Jahre, ist mit seiner gesamten syrischen Familie in Deutschland. Wir haben die Drei um ihre Perspektive gebeten und sie gefragt, wie sich die Covid-bedingten Veränderungen und Einschränkungen auf ihre Leben auswirken. 

„Wir wissen nicht, ob die Informationen aus der Heimat wahr sind“ 

Wie stellt sich die Corona Krise in Eurem Heimatland dar? Bekommt Ihr davon etwas mit? 
 

Judi: Wir hören aus den Nachrichten, dass es auch in Syrien Corona-Fälle gibt, aber weniger als in Deutschland. Wir wissen aber nicht, ob die Informationen, die wir bekommen, der Wahrheit entsprechen. 

Ithar: Ich denke, die Corona Situation ist fast wie in Deutschland, mit Maskenpflicht, Abstandhalten und die Läden sind zu. Es gibt aber nicht genügend Medikamente und viele Krankenhäuser sind zerstört, wegen dem Krieg. Die wenigen Krankenhäuser, die es noch gibt, sind jetzt schon überfüllt. 

Muohamad: In Deutschland gibt es mehr Sicherheit, weil es in Syrien neben Corona noch größere Probleme gibt. Außerdem gibt der syrische Staat weniger Informationen über Corona an das Volk weiter. 

Hattet Ihr bei Euch selbst schon den Verdacht, an Corona erkrankt zu sein?
 

Judi: Vor einem halben Jahr habe ich meine Familie in Nordrhein-Westfalen besucht. Währenddessen bekam ich Symptome. Ich bin zu verschiedenen Praxen gegangen, die mich alle weggeschickt haben. In einer dritten Praxis wurde ich wenigstens untersucht, aber ein Test wurde nicht gemacht. Ich habe auch telefonisch noch versucht, jemanden zu erreichen, der mir helfen kann. Das hat alles nichts gebracht. Wegen meinem Zustand hatte ich auch Angst um meine Familie und bin deshalb zurück nach Brandenburg gefahren. Erst als ich wieder zuhause war, wurde ein Test gemacht, der am Ende auch negativ war.   

Die Treffen mit den Tandempartnern fallen aus 

Und wie ist Eure Situation zurzeit?
 

Ithar: Wir drei würden uns normalerweise regelmäßig mit unseren Tandempartnern treffen, die wir über die Flüchtlingshilfe und über "Start with a Friend" kennengelernt haben. Momentan bleibt nur noch der WhatsApp-Kontakt. 

Judi: Normalerweise sitze ich viel an meinen Videoprojekten. Ithar, Muohamad und andere Freunde unterstützen mich dabei. Ich habe einen eigenen YouTube-Kanal. Aber zurzeit ist es etwas schwierig und die Projekte pausieren. Die Maske muss ich von 8 Uhr bis 18 Uhr tragen, im Bus, auf der Straße, in der Schule. Ich kriege davon Schmerzen hinter meinen Ohren.  

Habt Ihr das Gefühl, dass junge Leute die Corona-Krise ernst nehmen?
 

Judi: Ja und nein. Es gibt in jedem Alter Leute, die die Krise mehr oder weniger ernstnehmen.

„Wir haben Träume, wir möchten etwas machen“

Nehmt Ihr ein Unterschied wahr zwischen den Bedürfnissen der jungen Menschen und denen der restlichen Gesellschaft?  
 

Ithar: Alle haben zurzeit ähnliche Herausforderungen zu bewältigen. Angst habe ich vor den Auswirkungen des Virus auf Kinder und alte Menschen. Um mich mache ich mir weniger Sorgen. 

Muohamad: Alle müssen Maske tragen und Abstand halten. Aber ich glaube, dass es für junge Menschen zurzeit besonders schwierig ist. Die Älteren haben viele Ziele in ihrem Leben schon erreicht. Die jungen Leute haben Schule, Ausbildung, wir wollen zum Sport, Leute treffen. Wir haben Träume, wir möchten etwas machen, wir können nicht einfach zuhause sitzen. 

Was hättest Du denn gerne gemacht?
 

Muohamad: Ich möchte zum Beispiel ins Fitness Studio gehen, ich möchte schwimmen und ich möchte Judi treffen. Wir machen eigentlich zurzeit einen Film, Judi und ich. Einen Film gegen Rassismus. Den wollen wir mit Schauspielern machen. Das geht gerade natürlich nicht. Ich möchte aktiv sein. Ich habe jetzt teilweise wochenlang gar nichts gemacht und musste zuhause bleiben. 

Ithar: Meine Sprache wird wegen Corona schlechter. Vor Corona habe ich mich oft mit Freunden getroffen, bin draußen unterwegs gewesen und habe Basketball gespielt. Die Flüchtlingshilfe bietet ein Erzählcafé an, um die deutsche Sprache zu praktizieren. Da bin ich gerne hingegangen. Und ich habe mich jede Woche mit meiner Tandempartnerin getroffen. Das hat mir geholfen, mein Deutsch zu verbessern. Nun bin ich außerhalb der Schule nur noch zu Hause.

Judi: Die meisten Leute haben zurzeit ein Problem mit dem Lernen. Wir haben ein paar Monate nur Online-Unterricht gehabt. Aber die meisten gehen lieber zur Schule als nur online zu lernen. Das gilt auch für mich. Wir haben zwar die 11. Klasse geschafft, weil wir alle – unabhängig von unseren Kenntnissen – versetzt wurden. Aber jetzt habe ich viele Schwierigkeiten, weil mir der Stoff fehlt. 

„Ich werde gezwungen, kreativ zu werden und mir alternative Pläne zu überlegen“ 

Man sagt ja, wenn eine Tür sich schließt, öffnet sich eine andere. Würdet Ihr sagen, die Krise hat auch etwas Positives? 
 

Muohamad: Eigentlich würde ich sagen, 2020 ist für mich ein verlorenes Jahr. Die Zeit kann mir niemand zurückgeben. Aber irgendwie versuche ich die Situation zu nutzen und das Beste daraus zu machen. Ich setze das jetzige Schuljahr  aus, denn ich weiß, dass ich es mit Homeschooling nicht schaffen werde. Deshalb konzentriere ich mich darauf, auf anderem Wege mein Deutsch zu verbessern. Also kann ich sagen, ja, die Corona-Krise hat auch etwas Positives: ich werde gezwungen, kreativ zu werden und mir alternative Pläne zu überlegen.

Judi: Wenn ich nichts zu tun hatte, habe ich mir auch neue Aufgaben gesucht. Während der Zeit im Lockdown habe ich im Internet Videobearbeitung gelernt. Online gibt es alle möglichen Videos, mit denen man zuhause die Dinge lernen kann, für die man sich interessiert. 

Ithar: Ich finde, die Krise hat auch etwas Gutes. Ich kann die Zeit zuhause genießen, mich zurückziehen oder mit meiner Familie zusammen sein. Vor Corona habe ich meine Familie immer nur wenige Stunden am Abend gesehen. Ich finde es schön, wenn wir mehr Zeit füreinander haben. Außerdem muss ich sagen: die ganzen Hygieneregeln usw. haben uns auch gezeigt, was man tun kann, wenn man auf seine Gesundheit achten möchte, beispielsweise Hände waschen und Abstand halten. Alle sind jetzt etwas mehr sensibilisiert und achten mehr auf sich. 

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Nadine Salihi

Gesprächsreihe vom Fachkräfteportal der Kinder- und Jugendhilfe

In unserer Gesprächsreihe fragen wir Schüler/-innen, Studierende, Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe, Vertreter/-innen aus dem Bundesfamilienministerium sowie junge Menschen mit Fluchterfahrung, wie sie derzeit ihren Alltag erleben, welche Eindrücke und Wünsche sie haben. 

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Redaktion: Iva Wagner

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