Im Gespräch

Interview mit Bundesschülersprecher zu Corona und jungen Menschen im zweiten Pandemieherbst

Am Rande einer Pressekonferenz der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ) sprach das Fachkräfteportal der Kinder- und Jugendhilfe mit Dario Schramm, dem Generalsekretär der Bundesschülerkonferenz, über die Rolle von Schülerinnen und Schülern in der Corona-Pandemie.

01.10.2021

Am 9. September 2021 hatte die DGKJ zu einer Online-Pressekonferenz eingeladen. Neben Prof. Dr. Jörg Dötsch von der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ) und Prof. Dr. Tobias Tenenbaum von der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie (DGPI) waren Marion Finnern, Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaften (GEW), Dario Schramm von der Bundesschülerkonferenz und Brigitte Strahwald aus dem Autorenteam der S3-Leitlinie „Schulmaßnahmen“ im Gespräch.

Soziale und psychische Folgen wiegen schwerer

In dem Termin ging es um die aktuelle Lage von Kindern und Jugendlichen in der Pandemie und wie ihre Gesundheit geschützt werden kann. Alle anwesenden Personen schätzten das Risiko der Erkrankung an Corona oder Folgen davon niedriger ein, als die sozialen und psychischen Folgen von Lockdowns und Schulschließungen.

Für viele Heranwachsende sei die COVID-19-Pandemie mittlerweile nicht mehr die Ausnahme, sondern Alltag: Hygiene- und Abstandsregeln, Tests, Inzidenzzahlen, Diskussionen über 3G-Stufen, Impfungen oder Quarantänebestimmungen bestimmen Lernen und Freizeit. Um Kinder und Jugendliche in dieser Zeit gut zu schützen, müssten Schulen geöffnet bleiben und Kinder zugleich vor Infektionen geschützt werden. Dazu brauche es medizinisches Fachwissen und klare Konzepte - aber auch einen Perspektivwechsel, war sich die Expert/-innenrunde einig, die zu dem Pressegespräch zusammenkam.

Das Fachkräfteportal im Kurzinterview mit Dario Schramm

Fachkräfteportal: Werden in Ihrer Wahrnehmung Kinder und Jugendliche immer noch auf ihre Rolle als Schüler/-innen beschränkt oder haben Sie den Eindruck, dass sich in der Wahrnehmung etwas verbessert hat?

Dario Schramm: Ich nehme war, dass Schülerinnen und Schüler nicht mehr nur noch Schülerinnen und Schüler sind, sondern auch andere Belange beachtet werden. Allerdings gab es keinen Sport mehr, soziale Kontakte fielen aus und deshalb waren Schulschließungen für Schülerinnen und Schüler selbst lange auch wirklich das Hauptthema.

Fachkräfteportal:  Wie sehen Sie die Wahrnehmung/Beteiligung von jungen Menschen in der Pandemie: Zu Anfang wurden sie niemals gehört und nun wird vielmals beschworen, dass sie und ihre Belange nun im Vordergrund stünden?

Dario Schramm: Wir sind als Bundesschülerkonferenz ja ein Gremium, dass sich stark für junge Menschen eingesetzt hat, aber trotzdem sind wir seit Pandemie-Beginn zum Beispiel bei der Kultusministerkonferenz nur zweimal vertreten gewesen. Es wurde kaum Kontakt zu uns aufgenommen und auch zu den Ministerien gabe es kaum Kontakt. Das ist einfach nicht gut, es wäre besser, wenn es mehr Kontakt geben würde und wir uns einbringen könnten. Aber wir kannten das ja bereits, denn das war auch beim Digitalpakt Schule das Problem, da hat uns auch keiner gefragt.

Fachkräfteportal: Die Bundesregierung hat inzwischen ja das Programm „Aufholen nach Corona" gestartet, das sich insbesondere ja auch an den außerschulischen Bereich richtet, haben Sie davon etwas mitbekommen?

Dario Schramm: Bisher kenne ich keinen Fall wo jemand wirklich profitiert hat, da gab es wohl eher noch keine flächendeckenden Sachen. Mir ist auch nicht bekannt, wieviel wieviel da wirklich abgerufen worden ist. An Schulen ist es bisher jedenfalls nicht bemerkbar gewesen.

Fachkräfteportal: Was hören Sie aus der Schüler*innenschaft: Wie geht es ihnen nach dem Schulstart in Präsenz?

Dario Schramm: Die Freude ist wirklich sehr groß, dass es aktuell keine Distanz- und Wechselunterricht mehr ist. Trotzdem taucht das Thema Schulschließungen ja auch immer wieder in den Debatten auf, auch wenn alle sagen, dass es keine mehr geben wird. Das allein schon führt aber zu Verunsicherung bei Schülerinnen und Schülern, da viele sich Sorgen, dass es am Ende doch wieder so kommt.

Fachkräfteportal: Inzwischen gibt es ja zugelassene und von der Stiko empfohlene Impfstoffe auch für 12-17-Jährige, wie nehmen Sie das war: Wie hoch ist Impfbereitschaft unter den Schülerinnen und Schülern?

Dario Schramm: Die Impfbreitschaft scheint mir sehr hoch zu sein. Bei uns in der Stufe sind zum Beispiel fast alle geimpft und auch die ab 12-Jährigen lassen sich impfen. Schule sollte übrigens auch der Ort sein, wo Aufklärungsarbeit über Impfungen geleistet werden sollte, damit Schülerinnen und Schüler selbst eine gut informierte Entscheidung treffen können.

Fachkräfteportal: Vielen Dank, dass Sie Ihre Einblicke mit uns geteilt haben und weiterhin alle Gute!

Statements der unterschiedlichen Fachleute zur Lage der Kinder und Jugendlichen im Herbst 2021

„Die Pandemie geht durch unsere gesamte Gesellschaft und betrifft alle, auch Kinder und Jugendliche. Erwachsene - nicht nur die in höherem Alter – haben eine erhebliche Krankheitslast zu tra­gen mit einer hohen Rate an schweren Komplikationen und auch Sterbefällen. Für die weitaus meisten Kinder sind die sekundären Krankheitsfolgen, nämlich die psychische Belastung durch Lockdown-Maßnahmen, ungleich belastender als die Erkrankung selbst“, betonte DGKJ-Präsident Prof. Dr. Jörg Dötsch.

Mit Bezug auf mittlerweile zahlreiche aussagekräftige Studien gab Prof. Dr. Tobias Tenenbaum (DGPI) einen Einblick in die Forschungslage zu Kindern und SARS-COV-2: „Kinder haben das Pandemiegeschehen zu keiner Zeit so beeinflusst wie die Erwachsenen. Jetzt zeigt sich, dass die Impfung von Kindern und Jugendlichen für den Verlauf der vierten Infektionswelle von sekundärer Bedeutung, die Impfung von Erwachsenen allerdings entscheidend ist! - Die aktuell diskutierten, gesellschaftlich und politisch vorge­schlagenen Maßnahmen zu langfristigen Lockerungen auf Basis der Kategorien Geimpft/Genesen/Getestet passen nicht für Kinder. Sie haben sogar das Potenzial, diese Altersgruppe weiter zu diskriminieren. Daher müssen für sie Entscheidungskriterien entwickelt werden, die den spezifischen Bedürfnissen dieser Altersgruppe gerecht werden. Konkrete Maßnahmenbündel gibt es bereits, sie müssen konsequent umgesetzt werden.“

Für den sicheren Schulbetrieb schilderte Brigitte Strahwald aus dem Autorenteam der S3-Leitlinie geeignete Maßnahmen zur Prävention und Kontrolle der SARS-CoV-2-Übertragung in Schulen: „Die wissenschaftlich fundierten und konsentierten Handlungsempfehlungen der S3-Leitlinie sollen einen möglichst sicheren, geregelten und kontinuierlichen Schulbetrieb in Pandemiezeiten ermöglichen. Dabei ist stets ein Maß­nahmenpaket notwendig: Maßnahmen müssen aufeinander abgestimmt umgesetzt werden, um zu wirken.“

Maike Finnern, Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, mahnte an, die Schulen nach eineinhalb Jahren Pandemie krisenfest zu machen: „Kinder und Jugendliche haben einen guten Schutz verdient. Wir brauchen einen Schulterschluss zwischen Bund, Ländern und Kommunen, Lehrkräften, Ärzten, Virologen, Schülerinnen und Schülern, Eltern sowie deren Interessenvertretungen, um die Schulen endlich krisenfest zu machen. Die Pandemie hat die Schwächen unserer Bildungssysteme gnadenlos offenbart. Die Kunst ist, das Recht auf Bildung sowie gute Arbeits- und Lernbedingungen und das Recht auf Gesundheit der Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler sowie deren Eltern unter einen Hut zu bekommen. Klare Konzepte und einheitliche Richtlinien fördern die Transparenz von Entscheidungen und tragen zu deren Akzeptanz und damit zum Schulfrieden bei.“

Die Sicht von Schüler/-innen brachte Dario Schramm als Generalsekretär der Bundesschülerkonferenz ein: „Viele fühlen sich mit ihrer Situation allein und sehnen sich nach sozialen Kontakten. Die Probleme, die während des Lockdowns entstanden, bleiben bestehen. Das betrifft die eigene Gesundheit, aber auch belastende Situationen in der Familie bis hin zu häuslicher Gewalt. Zudem gibt es enorme schulische Ängste, etwa vor inhaltlichen Lücken in den Abschlussklassen. Viele Schüler und Jugendliche konnten über Monate keinen Sport machen, das hat körperliche Auswirkungen, betrifft aber auch die Stressverarbeitung etc. – Viele Jugendliche suchen Hilfs- und Therapieangebote, was extrem schwierig geworden ist. Das muss deutlich verbessert werden!“.

Quelle: Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin und Fachkräfteportal der Kinder- und Jugendhilfe vom 09.09.2021

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