IJAB-Positionspapier

Internationalen Jugendaustausch nachhaltig sichern

Die anhaltende Corona-Pandemie hat nach wie vor erhebliche Auswirkungen auf die europäische und internationale Jugendarbeit. Das Positionspapier von IJAB – Fachstelle für Internationale Jugendarbeit der Bundesrepublik Deutschland e.V. fasst die aktuelle Lage des Arbeitsfeldes zusammen und ruft die Politik zum Handeln auf: Notwendige Unterstützungsleistungen jetzt und Verbesserungen der Rahmenbedingungen nach der Pandemie müssen ermöglicht werden!

15.01.2021

Das IJAB-Positionspapier „Internationalen Jugendaustausch nachhaltig sichern! Ein Aufruf an Politik auf allen Ebenen“ im Wortlaut:

Europäische und internationale Jugendarbeit ermöglichen jungen Menschen, als selbstbewusste und verantwortungsbewusste Bürger/-innen eines vereinten Europas und einer globalisierten Welt aufzuwachsen und deren Zukunft mitzugestalten. Wenn Jugendliche im Rahmen eines Workcamps in einem Nationalpark in Guatemala arbeiten, als Freiwilligendienstleistende Holocaust-Überlebende in der Ukraine betreuen oder in Frankreich im Rahmen einer deutsch-französischen Begegnung von Jugendgruppen an einem Theaterstück zur Migration arbeiten, dann erleben sie die Welt nicht als Tourist(inn)en, sondern als Menschen, deren Meinung zählt und deren Engagement Wirkung zeigt. Und sie erleben auch, dass es mehr gibt, was Menschen gemeinsam haben, als was sie trennt. Sie erfahren die große Vielfalt von Traditionen, Religionen und Umgangsformen in anderen Gesellschaften. Sie erleben dies nicht als Bedrohung, sondern als etwas, dem sie mit Neugier und Respekt näherkommen können. Sie durchleben Konflikte und lernen, sie in einer vielfältigen Gruppe friedlich beizulegen. Im Dialog mit Anderen lernen sie viel über sich selbst und die Einflüsse, die sie geformt haben. Sie machen Erfahrungen, die oft prägend sind und sie ein ganzes Leben lang begleiten.

Europäische und internationale Jugendarbeit bieten motivierende informelle und non-formale Lerngelegenheiten, in denen es um Persönlichkeitsentwicklung, Förderung von gesellschaftlichem Engagement, Beiträge zur multilateralen Verständigung und Zusammenarbeit sowie die Unterstützung von Demokratie und Zivilgesellschaft geht. Austausch und Begegnung junger Menschen sind immer auch Gegenstand europäischer und zahlreicher bilateraler Verpflichtungen, die die Bundesrepublik Deutschland nach zwei Weltkriegen und der Erfahrung von zwei Diktaturen eingegangen ist, um einen Beitrag zum friedlichen Zusammenleben zu leisten. Angesichts schrumpfender Möglichkeiten und Räume für zivilgesellschaftliches Engagement, dem Erstarken populistischer und nationalistischer Strömungen sowie der Aushöhlung demokratischer Institutionen auch in Europa, ist der Beitrag der europäischen und internationalen Jugendarbeit für eine auch in Zukunft demokratische und von Vielfalt geprägte Gesellschaft von hoher Aktualität.

Die Corona-Pandemie bedeutet für das Arbeitsfeld einen tiefen Einschnitt. Jugendbegegnungen und Fachkräfteaustausche werden abgesagt, Langzeitfreiwillige nach Deutschland zurückgeflogen. Nur wenige konnten und können ihren Aufenthalt als Au-pair, Freiwillige oder im Schüler(innen)austausch fortsetzen oder überhaupt beginnen. Viele Träger sind auf digitale Formate ausgewichen, insbesondere um den Kontakt zu den ausländischen Partnern zu halten. Aber digitaler Austausch kann die persönliche Begegnung in einem anderen Land nicht ersetzen. Besonders die Jugendlichen, die die Zeit zwischen Schule und Berufsausbildung für einen Auslandsaufenthalt zur eigenen Orientierung auf ihrem Lebensweg nutzen wollten, konnten diese wichtige Erfahrung nicht oder nur eingeschränkt machen. Je länger die Einschränkungen für das Arbeitsfeld bestehen, umso mehr ist festzustellen, dass Trägerstrukturen, die diese Angebote für junge Menschen vorhalten, sowohl in Deutschland als auch im Ausland finanziell in Not geraten. Damit werden Partnerstrukturen und internationale Kooperationen in der jugendpolitischen Zusammenarbeit langfristig gefährdet.

Um im Interesse der jungen Menschen handlungsfähig zu sein, benötigt europäische und internationale Jugendarbeit ein stabiles Gerüst, bestehend aus aktiven öffentlichen und freien Trägern, politischem Willen und finanzieller Förderung. Die Corona-Pandemie hat dieses Gerüst in Deutschland in eine Schräglage gebracht. Bei einigen unserer internationalen Partner ist es bereits eingestürzt. Es muss im Interesse der Verantwortlichen in Politik und Verwaltung auf lokaler, Länder-, Bundes- und europäischer Ebene liegen, die Handlungsfähigkeit der Träger europäischer und internationaler Jugendarbeit aufrechtzuerhalten und es ihnen perspektivisch zu ermöglichen, ihre Angebote zeitgemäß weiterzuentwickeln.

Finanzielle Absicherung

Das Arbeitsfeld der europäischen und internationalen Jugendarbeit ist durch eine große Vielfalt von Trägern gekennzeichnet, die es ermöglicht, junge Menschen in verschiedensten Lebenssituationen zu erreichen und ihnen eine große Bandbreite an zielgruppenspezifischen Austauschformaten anzubieten. Dabei erfahren die Träger ein unterschiedliches Maß an Förderung. Die mit öffentlichen Mitteln geförderten freien und öffentlichen Träger sind in ihren Strukturen am ehesten gesichert. Organisationen, die vor allem Individualmaßnahmen wie Schüleraustausch, Au-pair-Aufenthalte oder auch Freiwilligendienste anbieten, gehen ohne öffentliche (Struktur-)Förderung ein höheres finanzielles Risiko ein und befinden sich aktuell teilweise in einer existenzbedrohenden Lage. IJAB begrüßt ausdrücklich die bisher bereitgestellten Mittel der Bundesregierung zur Unterstützung der Träger. Diese können erheblich dazu beitragen, dass Trägerstrukturen kurzfristig abgesichert werden. Doch je länger die Pandemie anhält, umso mehr steigt das finanzielle Risiko für alle Träger.

  • Die Strukturen und Angebote der Träger internationaler Jugendarbeit sind daher auch im Jahr 2021 durch Bereitstellung adäquater finanzieller Mittel auf kommunaler, Länder-, Bundes- und europäischer Ebene zu sichern.
  • Die im aktuellen Koalitionsvertrag der Bundesregierung* bereits vereinbarte Stärkung und adäquate Ausstattung der europäischen und internationalen Jugendarbeit muss endlich umgesetzt werden. Seit vielen Jahren reichen die Mittel nicht mehr, um alle qualifizierten Anträge für Austauschprogramme mit ausreichenden Mitteln auszustatten. Die Eigenanteile der Träger und der Teilnehmenden sind in den letzten Jahren immer stärker gestiegen. Es bedarf unabhängig von Corona einer Ausweitung der Fördermittel in allen Jugendaustauschförderprogrammen und ebenso einer Erhöhung der Fördersätze um 25%, insbesondere im Kinder- und Jugendplan des Bundes.

Flexibilisierung in der Förderung

Die Corona-Pandemie stellt die Träger der europäischen und internationalen Jugendarbeit vor zusätzliche Herausforderungen. Dies betrifft höhere Kosten durch die Einhaltung von Hygieneschutzmaßnahmen, das Auffangen von Storno- oder Quarantänekosten, aber auch zusätzlicher Kosten für den digitalen Austausch und die technische Ausstattung. Internationaler Austausch setzt zudem auf gleichberechtigte Partnerschaften. Die Situation vieler ausländischer Partner ist in den letzten Jahren jedoch aufgrund ausbleibender nationaler Förderung immer fragiler geworden, was sich durch die Pandemie noch verstärkt hat. Internationale Begegnungen können daher vielfach nur dann stattfinden, wenn deutsche Träger Kosten im Ausland mit übernehmen können.

  • Die Träger der europäischen und internationalen Jugendarbeit brauchen zur Absicherung ihrer Arbeit im Jahr 2021 eine größere Flexibilität und Änderungen in den Förderbedingungen, die den aktuellen besonderen Anforderungen gerecht werden. Dies betrifft zunächst auch eine vorübergehende Aufhebung des Gastgeberprinzips für Maßnahmen im Ausland.
  • Diese Flexibilität in den Förderbedingungen muss über die Pandemie und ihre Auswirkungen hinaus erhalten bleiben, um die traditionelle Einengung auf die Förderung weniger Austauschformate zu überwinden und damit mehr jungen Menschen grenzüberschreitende Lern- und Lebenserfahrungen zu ermöglichen. Die Bundesregierung sollte in ihren Absprachen mit anderen Ländern darauf hinwirken, dass die jeweiligen Regierungen öffentliche Mittel für den Jugendaustausch bereitstellen, um dem Gastgeberprinzip in den Beziehungen Rechnung zu tragen.

Digitale Strategie für das Praxisfeld der Internationalen Jugendarbeit

Die Pandemie beschleunigt das Tempo der digitalen Transformation. Auch im Bereich der europäischen und internationalen Jugendarbeit werden derzeit verstärkt digitale Formate genutzt, um Begegnungen, Trainings und Konferenzen online durchzuführen. Dabei müssen neue Konzepte erprobt, ausgewertet und weiterentwickelt werden, um Ansätze des „Virtual Exchange“ in die vorhandene Methodik der europäischen und internationalen Jugendarbeit einzupassen, ohne bestehende pädagogische und andere Qualitätsstandards zu verlassen.

  • Die für 2021 geforderte Flexibilisierung der Förderbedingungen muss den Trägern auch die Möglichkeit bieten, gemeinsam mit jungen Menschen und ihren Partnern im Ausland neue analoge, hybride und digitale Begegnungsformate zu entwickeln und umzusetzen. Zur Förderung solcher Formate gehört auch die Förderung einer technischen Ausstattung.
  • Die europäische und internationale Jugendarbeit braucht über 2021 hinaus eine von allen politischen Ebenen unterstützte Digitalstrategie, die evidenzbasiert neue Impulse setzt, um das Praxisfeld bei der digitalen Transformation zu fördern. Hierzu gehört auch die Förderung von Weiterbildungsangeboten, die Teamerinnen und Teamer die notwendigen Kompetenzen vermitteln.

Zugang zu Botschaften und Erleichterungen bei der Beantragung von Visa

Zurzeit erhalten nur Teilnehmende von Individualmaßnahmen Termine bei den deutschen Auslandsvertretungen zur Beantragung von Visa, die schon vor Ausbruch der Pandemie oftmals verweigert oder nur gegen hohe Gebühren ausgestellt wurden. Teilnehmende von Gruppenformaten bekommen derzeit keinen Zugang zur Beantragung von Visa.

  • Die Bundesregierung sollte auf ihre deutschen Auslandsvertretungen einwirken, dass allen Teilnehmenden von Formaten der europäischen und internationalen Jugendarbeit die Beantragung von Visa für entsprechende Austauschformate sofort wieder ermöglicht wird.
  • Über die aktuelle Praxis der Visa-Einschränkungen in der Pandemie hinaus, muss gemeinsam mit den Auslandsvertretungen eine Regelung vereinbart werden, dass Visa für Teilnehmende an Austauschformaten der europäischen und internationalen Jugendarbeit ähnlich wie im Schulaustausch kostenfrei nach Vorlage einer offiziellen Teilnehmendenliste ausgestellt werden können.

Aktionsplan zum Anschub der Internationalen Jugendarbeit ab 2022

Die aktuelle Lage zeigt, dass die Träger alles daransetzen, die Kontakte zu den ausländischen Partnern über die digitalen Medien zu halten und die aktive Zusammenarbeit sobald wie möglich wieder aufzunehmen. Der digitale Kontakt kann jedoch physische Begegnungen niemals ersetzen, sondern nur ergänzen. Gleichzeitig drohen aber Träger- und Partnerstrukturen wegzubrechen, je länger die Pandemie andauert. Daher braucht es mit dem Abklingen der Pandemie gemeinsame Anstrengungen von allen Förderinstitutionen, öffentlichen und freien Trägern, um nicht um Jahre mit der Erreichung der beiden Ziele zurückgeworfen zu werden, die sowohl bei den Trägern, als auch bei politisch Verantwortlichen und jungen Menschen vor Ausbruch der Pandemie bereits auf der Agenda standen: Allen jungen Menschen im Laufe ihres Bildungsweges ein pädagogisch begleitetes grenzüberschreitendes Lernangebot zu machen und diese mit Mobilität verbundene Lebenserfahrung so umweltschonend wie möglich zu gestalten.

  • Es bedarf eines abgestimmten Aktionsplans, der eine breite politische Unterstützung erfährt und der die öffentlichen und freien Träger in die Lage versetzt, in der Vielfalt der Lebenswelten junger Menschen Angebote der europäischen und internationalen Jugendarbeit zu etablieren und diese gemeinsam mit den jungen Menschen so nachhaltig wie möglich auszugestalten. Hierfür sind ausreichende finanzielle Mittel bereitzustellen, um tatsächlich alle jungen Menschen anzusprechen und ihnen Austausch und Lebenserfahrungen in Europa und der Welt unabhängig von ihrer ökonomischen Lage zu ermöglichen.

Beschlossen von der IJAB-Mitgliederversammlung am 16. Dezember 2020

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* Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD der 19. Legislaturperiode: „Deshalb wollen wir den internationalen Jugendaustausch weiter stärken, damit junge Menschen unabhängig von ihrer Herkunft und Bildung die Chance haben, an einem internationalen Jugendaustausch teilzunehmen. Wir wollen die internationale und europäische Jugendarbeit unterstützen und fortentwickeln und mit adäquaten Mitteln ausstatten.“

Download Positionspapier „Internationalen Jugendaustausch nachhaltig sichern! Ein Aufruf an Politik auf allen Ebenen“ (PDF, 245 KB)

Quelle: IJAB – Fachstelle für Internationale Jugendarbeit der Bundesrepublik Deutschland e.V.

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