EU-Jugendstrategie

Olaf Böhnke (ECFR): "Verpflichtender Dienst an Europa"

JUGEND für Europa sprach auf comeback 2014 mit Olaf Böhnke, Büroleiter der deutschen Vertretung des European Councils on Foreign Relations (ECFR), über einen verpflichtenden Zivildienst für junge Europäer und warum er erst nach Amerika fahren musste, um sich mit anderen Europäern zu unterhalten.

25.11.2014

Als erster pan-europäischer Think Tank bringt der ECFR die europäische Perspektive in nationale politische Diskurse ein, zeigt Perspektiven für eine gemeinsame europäische Außenpolitik auf und engagiert sich für die erfolgreiche Weiterentwicklung des europäischen Integrationsprozesses.

Das deutsche Büro des ECFR hat ein umfassendes Netzwerk aufgebaut, in dem hochrangige Vertreter aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft im Austausch stehen und das ständig erweitert wird. Auch mit Botschaften, dem Auswärtigen Amt, Landesvertretungen und verschiedenen Stiftungen arbeitet das Büro intensiv zusammen.

JfE: Herr Böhnke, seit 2007 setzt sich der ECFR für die Inklusion europäischer Themen in nationale politische Diskurse und die Entwicklung einer gemeinsamen Außenpolitik der EU ein. Wie friedlich soll die Europäische Union sein, wie friedlich kann sie überhaupt sein?

Böhnke: "Ich versuche mich dafür einzusetzen, dass sich die Europäische Union mehr als globaler Akteur aufstellt und noch mehr Zusammenarbeit in der Außen- und Sicherheitspolitik pflegt – das ist ein langer Weg und vielleicht gar nicht der, der als nächstes ansteht, wenn wir momentan in Erwägung ziehen müssen, militärische Instrumente zu benutzen. Es ist ja nicht die Frage, was wir als Europäer uns wünschen. Wenn es nach uns ginge, dann wäre die Welt ein Hort der Glückseligkeit, aber so ist die Realität leider nicht und wir sind in sehr kurzer Zeit mit sehr existenziellen Krisen konfrontiert worden und mussten feststellen, dass wir überhaupt nicht darauf vorbereitet sind. So viele außenpolitische Herausforderungen wie jetzt hatte die Europäische Union noch nie vor sich."

JfE: 99 Prozent des jugendlichen Publikums beim Politik-Battle in Berlin gaben an, sich sehr sicher in Deutschland zu fühlen – trotz der vielen Konfliktherde um uns herum. Ist das nicht auch ein seltsamer Dualismus?

Böhnke: "Ja und Nein: Auf der einen Seite sind wir eine reiche Wirtschaftsnation: Mit uns legt sich niemand an, wir sind im geographischen Herzen Europas, Angst vor konventionellen Kriegen hat hier kaum jemand. An den Außengrenzen Europas wie etwa in Litauen und Griechenland ist das ganz anders. Auf der einen Seite hatten wir noch nie so ein gutes Deutschland wie dieses, wir haben unsere Lektionen aus den Weltkriegen gezogen und wir fühlen uns innen prima, aber auf der anderen Seite tun wir trotzdem so, als würde uns das Dilemma um uns herum nichts angehen. Das fängt bei den Flüchtlingen an, bei Terroristen geht es weiter. Wir haben eine Schutzverantwortung in dreifacher Hinsicht: Zum einen unseren eigenen Menschen in Deutschland und Europa gegenüber, dann den Soldaten, die wir in solche Einsätze schicken und den Menschen, deren Leiden wir zusehen, wenn wir gar nichts tun und aber eben auch den europäischen Werten gegenüber."

JfE: Gehören zu dieser Schutzverantwortung auch Waffenlieferungen?

Böhnke: "In der Entwicklungshilfe gibt es einen bekannten Satz: „ Give a man a fish and you feed him for a day: show him how to catch fish and you feed him for a lifetime“. Mit den Waffenlieferungen ist es in gewisser Weise so ähnlich, aber Waffen sind natürlich nicht so harmlos wie Angeln. Ich halte nichts davon, dass wir irgendwo hingehen und für die Leute einen Stellvertreterkrieg führen, das ist genauso, wie wenn ich für meine Kinder in die Schule gehe und ihre Konflikte löse. Ich muss sie in die Lage versetzen, dass sie das selber machen können. Ich denke, wir sollten verinnerlichen, dass Nicht-Eingreifen keine Option sein kann: Ich glaube, dass die EU am besten von allen Akteuren dazu befähigt ist, mit ihrem Wissen, ihren Fähigkeiten, aber auch ihrer politischen Historie vermittelnd einzutreten und der Diplomatie eine Chance zu geben."

JfE: Welchen Beitrag leisten denn Europäische Freiwillige zum "Friedensprojekt Europa"?

Böhnke: "Ich bin ein großer Fan des Europäischen Freiwilligendienstes, weil er dazu führt, dass Leute sich mit anderen Lebensrealitäten auseinandersetzen, die in erster Hinsicht nicht ihre eigenen sind. Sie sind in einem Land, dessen Sprache sie nicht sprechen, in anderen politischen Systemen, sie sind mit sozialen und kulturellen Realitäten konfrontiert, und müssen sich auf einen Prozess des Zuhörens und Veränderns einlassen. Das, was man da alles erfahren hat, bringt man mit zurück und ist – ob man will oder nicht – Botschafter eines solchen gelebten Europas, auch wenn das eine sehr kleine und privilegierte Gruppe ist."

JfE: Reicht das denn aus um Visionen von Europa zu stärken?

Böhnke: "Ich denke nicht und würde einen Schritt weitergehen und sagen, wir brauchen einen Europäischen Freiwilligendienst fast verpflichtender Art, wie etwa einen europäischen Zivildienst, unabhängig vom Geschlecht. Was bringt mir ein 23-jähriger Masterabsolvent, der zu mir ans Institut kommt und dem ich ganz viele Dinge über Lebenskompetenz erstmal erklären muss. Der EFD bedeutet das Sammeln von Erfahrungen auf einer ganz praktischen Ebene, die unglaublich wertvoller Natur sind, weil sie sozial ausgerichtet sind. Man kommt auch nicht auf eigene Ideen, wenn man nicht weiß, wer man ist, und da bin ich froh um jeden, der sich engagiert, weil da schon der erste Schritt getan ist. Mich erschreckt es oft, dass viele Leute Dinge als gegeben hinnehmen – das ist für mich eine Form von kultureller Verblödung, daher ist so eine Reflexion wie hier bei comeback 2014 fantastisch."

JfE: Haben Sie da eigene Erfahrungen gemacht?

Böhnke: "Ich bin mit einem Stipendium des German Marshall Fund vier Wochen durch die USA gereist und habe dort so viel wie nie zuvor über Europa erfahren, weil ich mit 23 anderen Leuten aus 15 verschiedenen europäischen Staaten zusammen war. Die Amerikaner fragten die ganze Zeit: „What does you European think?“ und allein diese Ansprache hat mich schon verwirrt. Ich kann das als Deutscher beantworten, aber was der Grieche denkt ,weiß ich nicht, ich kenne nicht einmal dessen Regierung. An einem Abend haben wir uns dann als Gruppe zusammengesetzt und darüber gesprochen, wer wir Europäer sind. Das ging bis tief in die Nacht, obwohl wir am nächsten Morgen früh raus mussten, aber es hat Freundschaften geschaffen und zum gegenseitigen Verständnis beigetragen. Ich habe mich danach wirklich gefragt, warum wir erst in die USA fahren mussten, auf Einladung einer amerikanischen Organisation, um etwas über Europa zu erfahren."

Mehr zum European Council on Foreign Relations finden Sie unter <link http: www.ecfr.eu _blank external-link-new-window external link in new>www.ecfr.eu

Quelle: Das Interview führte Lisa Brüßler im Auftrag von JUGEND für Europa

Back to Top