EU-Jugendstrategie

Gemeinsame Werte: "Positive Jugendpolitik" und "Eigenständige Jugendpolitik"

Das zweite Seminar im Europäischen Peer-Learning-Projekt zur Jugendpolitik fand in Rotterdam statt und betonte die Gemeinsamkeiten in mindestens zwei Politikansätzen. Der eigentliche Peer-Learning-Prozess bleibt eine gemeinsame Herausforderung.

22.11.2012

„Positive Jugendpolitik“ war das Schlagwort, das die Niederländer als Gastgeber in Rotterdam in den Mittelpunkt des Geschehens rückten. Nahezu gleichzeitig mit der Entwicklung einer „Eigenständigen Jugendpolitik“ in Deutschland angestoßen, breiteten somit zwei Politikansätze ihre Horizonte aus, die die rund 80 Teilnehmenden aus sieben Ländern tapfer zu ermessen versuchten.

Jugendpolitik für alle

Der Eröffnungsbeitrag von Prof.em. Dr. Richard Münchmeier von der FU Berlin wurde von vielen Teilnehmenden dankbar aufgenommen. Dieser vollzog die historischen Entwicklungslinien von ressource- und problemorientierter Jugend- und Jugendsozialarbeit nach und setzte sie ins Verhältnis zu gegenwärtigen jugendpolitischen Herausforderungen. Die aus seiner Sicht eher missverständlichen Begriffe „positive“ und „eigenständige“ Jugendpolitik übersetzend betonte er die Notwendigkeit einer Jugendpolitik, die sich an alle Jugendliche richtet, nicht nur an so genannte „Problemgruppen“, und die Prinzipien wie Anerkennung, Empowerment und Partizipation zu ihren Leitideen macht. Auf dem Papier, so kritisierte er, bestehe seit fast 15 Jahren Einvernehmen über solche Parameter, diese aber seien in der Praxis der Politik noch nicht angekommen, auch nicht auf EU-Ebene. Sowohl als Strukturförderung wie auch in Form von Förderprogrammen, sowohl als starke sektorale wie sich einmischende transsektorale Politik sei Jugendpolitik gegenwärtig gefordert. Sie müsse intergenerativ gerecht, zukunftsgewandt, partizipativ und aktivierend sein. Jugendliche müssten endlich als Teil unseres demokratischen Zusammenlebens verstanden, an der Lösung der sie betreffenden Fragen entscheidend beteiligt und nicht nur gehört werden.

Ging es im ersten Seminar in Berlin vor allem um strukturelle Fragen – um das Zusammenspiel von staatlicher und kommunaler Ebene –, so führte das Arrangement der niederländischen Gastgeber auf die Wurzeln, auf ein gemeinsames Verständnis von „positiver“ und „eigenständiger“ Jugendpolitik. Dafür sammelte man in den Workshops, in Vor- und Nachbereitung der Praxisbesuche, die „Zutaten“ für „Rezepte“ einer positiven, eigenständigen, partizipativen Jugendpolitik. Sich häufig wiederholende Stichworte wie Vertrauen, Anerkennung, Empowerment, Partizipation, Nachhaltigkeit oder ressortübergreifende Zusammenarbeit markierten einen deutlichen, allerdings noch diffusen Konsens über eine mögliche Werteorientierung als Basis einer positiven und eigenständigen Jugendpolitik.

Empowerment statt Wohlfahrt

Zuvor war im Eröffnungsplenum die Blickrichtung angezeigt worden. Leon de Wever, Abteilungsleiter Jugend im Niederländischen Ministerium für Wohlfahrt, Gesundheit und Sport, lobte in seiner Begrüßung eine „eigenständige Jugendpolitik, die ihre eigene Agenda setzt“ und nicht nur der Bildungs-, Sozial- oder Kriminalstatistik folgt. Er erteilte einer „risikoorientierten Jugendpolitik“ eine Absage und setzte „Empowerment statt Wohlfahrt“ als Devise. Jugendlichen besser zuzuhören, ihre Stärken zu entdecken und Räume und Lösungen für eigene Lösungen bereit zu stellen, seien deshalb die anstehenden Aufgaben.

Hugo de Jong, Jugenddezernent von Rotterdam, der niederländischen Stadt mit der jüngsten Bevölkerung, kündigte die Möglichkeit an, die vielfältigen Innovationen in der niederländischen Jugendarbeit zu besichtigen. Die acht Praxisprojekte, die die Seminarteilnehmenden im Anschluss besuchten, folgten einem stärkeorientierten, wertschätzenden und partizipativen Ansatz und wurden durch die Zusammenarbeit verschiedener Organisationen und Einrichtungen getragen: Kinder-Stadtteilarbeit, ein kommunales Jugendparlament, ein Kinder- und Jugendkulturzentrum, ein kommunales Zentrum für Jugendsozialarbeit und nachholende Schulabschlüsse, eine Kooperation von Schule mit außerschulischer Kinder- und Jugendarbeit.

Anknüpfend an die Praxisbeobachtungen drehten sich die anschließenden Workshopgespräche dann allerdings eher um die Frage, welche (pädagogische) Haltung auf der Grundlage welcher Werteorientierung für die Jugendarbeit wünschenswert wäre, als darum, wie eine entsprechende Jugendpolitik aussehen sollte. Fragen, wie in den einzelnen Ländern die politischen, strukturellen und finanziellen Bedingungen für eine Verbesserung der Situation von Jugendlichen konkret aussehen könnten und was die Politik – über eine Veränderung der Perspektive hinaus – dafür tun müsste, wurden gestellt, aber (noch) nicht beantwortet.

Kritisches Nachfragen folgt

Die Einsicht vieler Teilnehmender am bisherigen Peer-Learning-Prozess fasste Laura Bacinskiene, Vertreterin Litauens aus der Jugendabteilung des Litauischen Ministeriums für Arbeit und Soziales zusammen: „In einem Peer-Learning-Prozess ist wichtig, was wir anderen geben können, wie wir voneinander lernen können – und das beinhaltet nicht nur Erfolge, sondern auch Fehler und Scheitern.“ Sie wünschte sich mehr kritische und vielleicht auch provokative Fragen, „die helfen, tiefer in die Maßnahmen der Partnerländer einzusteigen.“

Diesen Schritt soll das dritte Seminar mit dem Thema „sektorübergreifende Jugendpolitik“ leisten, das im Frühjahr in Prag stattfinden wird.

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