Sozialpolitik

Immer weniger Kinder in Hartz IV

Unter Berufung auf eine Analyse der Bundesagentur für Arbeit zur Entwicklung der Zahl unter 15-jähriger Hartz IV-Bezieher meldet die Süddeutsche Zeitung eine deutliche Abnahme der Kinderarmut in Deutschland. Kritiker bewerten den Rückgang junger Menschen in Hartz IV-Haushalten hingegen nicht als fundamentale Trendwende beim Thema Kinderarmut.

26.01.2012

Die Zahl unter 15-Jähriger Hartz IV-Bezieher nahm laut der BA-Analyse zwischen den Jahren 2006 und 2011 von knapp 1,9 Millionen auf ca. 1,64 Millionen ab. Ein besonders spürbarer Rückgang hat nach Angaben der Süddeutschen das vergangene Jahr beschert: Von September 2010 bis 2011 sei die Zahl von Kindern in Hartz VI-Haushalten um beinahe 84.000 zurück gegangen.

BA-Vorstandsmitglied Heinrich Alt führt diese Entwicklung auf eine verbesserte Aufnahmefähigkeit des Arbeitsmarktes zurück. So hätten sich die Chancen auf einen Arbeitsplatz auch für Langzeitarbeitslose und Geringqualifizierte deutlich verbessert. Allerdings sei noch keine flächendeckend intelligente Abstimmung von Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik erreicht worden. Alt wies auf die notwendige Kooperation der Akteure des Bildungsbereichs, der Wirtschaft, der Kirchen und Wohlfahrtsverbände sowie der kommunalen Jugendhilfe hin, um generationsübergreifende Armutskreisläufe zu durchbrechen.

Die BA-Analyse dokumentiert große regionale Unterschiede beim Rückgang der Zahlen von Kindern in Hartz IV. Die stärkste Abnahme war in Bayern zu verzeichnen, während Stadtstaaten oder auch das Flächenland NRW teilweise deutlich unter dem 13,5-prozentigen Bundesdurchschnitt lagen. Die mit 1,2 Prozent niedrigste Abnahme im Fünf-Jahres-Vergleich konnte in Berlin festgestellt werden. Der Rückgang minderjähriger Hartz IV-Bezieher gestaltete sich hingegen in den ostdeutschen Flächenstaaten überdurchschnittlich stark.

Der Sozialexperte im Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, Markus Grabka, warnte gegenüber der Süddeutschen Zeitung vor einer Überbewertung der BA-Zahlen. Allein die Nichterfüllung des Kriteriums Hartz IV-Bezug sei noch keine Garantie, nicht von Armut betroffen zu sein. Insbesondere im Niedriglohnsektor sei das Armutsrisiko groß.

Christiane Reckmann, die Vorsitzende des Zukunftsforum Familie (ZFF), sagte, die rückläufigen Zahlen unter 15-Jähriger in Hartz IV dürften nicht für eine Verschleierung der Tatsache herangezogen werden, dass die Kinderarmut in Deutschland weiterhin ein sehr ernstes Problem sei. Viele Kinder lebten in prekären Verhältnissen, auch wenn ihre Eltern einen Job hätten. Durch die Ausweitung des Niedriglohnsektors könnten Eltern häufig nicht einmal bei Vollzeiterwerbstätigkeit Entgelte erzielen, die zur ihrer eigenen Existenzsicherung reichten. Außerdem nähmen viele Eltern aus Scham oder Unwissenheit staatliche Leistungen gar nicht in Anspruch, auch hier seien die Kinder die Leidtragenden. Reckmann wiederholte in diesem Zusammenhang die Forderung nach der Einführung einer Kindergrundsicherung, „Nur so können die Widersprüche im gegenwärtigen Sozialsystem überwunden und Teilhabechancen von allen Kindern und Jugendlichen deutlich verbessert werden“, so die ZFF-Vorsitzende.

"Die jüngst veröffentlichten Zahlen der Bundesagentur für Arbeit zum Grundsicherungsbezug der unter 15-Jährigen dürfen nicht als eine Trendumkehr verstanden werden", warnte der AWO Bundesvorsitzende Wolfgang Stadler." Offensichtlich hätten die Jobcenter in letzter Zeit verstärkt Druck gemacht, so dass alle Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft Jobs annähmen. „Aber damit sind die Familien noch lange nicht aus der Armutsfalle heraus“, so Stadler.

Unklar bleibe auch, welche Rolle in diesem Zusammenhang den familienpolitischen Förderinstrumenten zukommt. Häufig gelinge es Familien nur deshalb statistisch aus dem Grundsicherungsbezug herauszufallen, weil sie zum Beispiel kinderzuschlagsberechtigt sind. „Mit dem Kinderzuschlag werden Familien gezielt aus dem Bezug von SGB-II-Leistungen herausgeholt. Faktisch ändert sich die Armutssituation der Familien jedoch nicht gravierend“, betonte der AWO Bundesvorsitzende. Einen dauerhaften Ausstieg aus der Langzeitarbeitslosigkeit gäbe es kaum und selbst wenn er gelingt, könnten diese Personen häufig nur in gering qualifizierte und schlechtbezahlte Tätigkeiten im Niedriglohnbereich vermittelt werden. So gelangten viele Familien nur um wenige Euro über die Grundsicherungsschwelle.

„Insgesamt bleiben auch die aktuellen Zahlen weiter alarmierend“, unterstrich AWO Bundesvorsitzender Stadler. „Wenn bundesweit nach wie vor jedes 7. Kind im Grundsicherungsbezug steht und in einigen Regionen wie unserer Bundeshauptstadt sogar jedes 3. Kind, können wir also von keiner Trendwende sprechen, sondern müssen der Überwindung von Kinderarmut nach wie vor einen hohen Stellenwert einräumen.“ 

Heinz Hilgers, Präsident des Deutschen Kinderschutzbundes wies darauf hin, dass es seit dem Jahr 2006 fast 750.000 Kinder unter 15 Jahren weniger in Deutschland gäbe. „Wenn es also immer weniger Kinder gibt, so ist es keine Überraschung, dass in absoluten Zahlen betrachtet auch immer weniger Kinder von Sozialleistungen leben“, so Hilgers.
Die Quote der Kinder, die von Sozialgeld (Hartz IV) lebten sei zwischen September 2006 und September 2011 lediglich um 1,5 Prozentpunkte gesunken. Seien 2006 noch 16,6% der Kinder unter 15 Jahren hilfebedürftig gewesen, so beliefe sich diese Zahl nach aktuellsten Erhebungen auf 15,1%. Dies sei zwar eine positive Entwicklung, die derzeitige Berichterstattung irritiere jedoch, da sie einen deutlich stärkeren Rückgang der Kinderarmut suggeriere.
Im Vergleich zum Rückgang der Arbeitslosenquote von 10,8% in 2006 auf 6,6% im September 2011 zeige sich nach Angaben des Deutschen Kinderschutzbundes, dass die Kinderarmut in den vergangenen Jahren bei fallender Konjunktur immer stärker gestiegen sei als die Arbeitslosigkeit. Dies weise auf die strukturellen Probleme hin, die durch den Niedriglohnsektor und dem ungerechten Familienleistungsausgleich entstünden. Jetzt gehe die Kinderarmut bei positiver Konjunkturentwicklung deutlich geringer zurück als die Arbeitslosigkeit. Deswegen werde es mittelfristig eine weitere Steigerung der Kinderarmut geben, wenn die grundsätzlichen strukturellen Probleme nicht angepasst würden.
„Kinderarmut ist nach wie vor eines der dringendsten Probleme unserer Gesellschaft“ so Heinz Hilgers. „Die Statistik der nicht-erwerbsfähigen Hartz IV-Empfänger unter 15 Jahren reicht nicht aus, um das Ausmaß der finanziell benachteiligten Kinder in unserem Land zu beschreiben. So fehlen die Altersgruppen der 15 bis 18-Jährigen. Betrachtet man alle Kinder und Jugendliche aus Familien, die Arbeitslosengeld II, Sozialgeld, Sozialhilfe, Kinderzuschlag, Wohngeld oder Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz beziehen, so ist von über 2,4 Millionen Kindern in Armut auszugehen (dies sind auch die anspruchsberechtigten Kinder für das Bildungs- und Teilhabepaket)“ so Hilgers.

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