Gesundheit
Soziale Kinder- und Jugendmedizin für Risikokinder: Kinder- und Jugendärzte sehen dringenden Handlungsbedarf
Die Anzahl chronischer, psychischer und psychosomatischer Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter nimmt weiter zu. Dabei gelten 20 Prozent aller Kinder in Deutschland als Risikokinder, weil sie aus prekären sozialen Lebenslagen oder von Armut gekennzeichneten Familien stammen und von herkömmlichen Versorgungsangeboten nicht erreicht werden.
29.06.2012
Da jedoch immer mehr Kinder und Jugendliche in Institutionen mit Ganztags-Konzept - etwa in Krippen, Kindergärten, Schulen und Horten - betreut werden, ergeben sich auch neue Herausforderungen, etwa für den öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD). Dieser ist allerdings aufgrund des Personalabbaus heute nicht mehr in der Lage, eine umfassende gesundheitliche und präventive Betreuung in den Kindertageseinrichtungen sicherzustellen.
"Dabei könnte der ÖGD - etwa durch fachliche Unterstützung der Erzieherinnen in Kindertagestätten oder durch aufsuchende und finanziell abgesicherte mobile Dienste - gerade die Risikokinder erreichen, die sonst nicht zu einem Kinder- und Jugendarzt vordringen", bekräftigt Professor Hans Michael Straßburg, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin (DGSPJ).
Dringenden Handlungsbedarf sieht Straßburg aber auch bei den Rehabilitations-Einrichtungen für chronisch kranke und behinderte Kinder und Jugendliche. Trotz ihres hohen Qualitätsstandards und nachweisbaren Erfolgen werden immer weniger Anträge bewilligt. Dies sei insbesondere für solche Kinder fatal, die über geringe eigene Ressourcen verfügen oder sozial benachteiligt sind.
Auch die Zusammenarbeit der Kinder- und Jugendärzte mit den Institutionen der Jugendhilfe, den Beratungsstellen, den Heilmittelerbringern und verschiedenen pädagogischen Institutionen hin zu einem funktionierenden Netzwerk sei defizitär. An vielen Stellen fehlten die strukturellen und finanziellen Voraussetzungen.
Um dies in Zukunft sicherzustellen, erhebt die DGSPJ folgende Forderungen:
- Die Weiterbildung in der Kinder- und Jugendmedizin muss neu strukturiert werden. Dabei ist der Bereich der Entwicklungs- und Sozialpädiatrie in der praktischen Ausbildung - anders als bisher - so einzubeziehen, wie es der Bedeutung im Alltag entspricht.
- Bei über 50% aller Kinder werden in sehr unterschiedlicher Form entwicklungsfördernde Maßnahmen durchgeführt, die zu erheblichen Kosten und teilweise zu großer Verunsicherung bei den Eltern führen. Um unnötige aufwändige und teure Langzeittherapien zu vermeiden, sollen neben früher Förderung unter Einbezug des familiären Umfeldes bewährte fachliche Institutionen wie etwa die Sozialpädiatrischen Zentren flächendeckend ausgebaut werden.
- Diese Sozialpädiatrische Zentren als multiprofessionelle und interdisziplinäre Kompetenzeinrichtungen für betroffene Kinder und Jugendliche müssen aber auch ausreichend finanziert werden. Die bisher im Abstand von nur wenigen Jahren notwendige Erneuerung der Zulassung sollte entfallen.
- Um die Qualität entwicklungsfördernder Maßnahmen zu verbessern, fordert die DGSPJ die Einführung einer Zusatzweiterbildung Entwicklungs- und Sozialpädiatrie in Deutschland.
Dabei müsse der Gesetzgeber auf Bundesebene die finanziellen Rahmenbedingungen für die institutionelle Sozialpädiatrie im ÖGD und in den SPZs sicher stellen, fordert die DGSPJ. Daneben ist aber auch eine Neuausrichtung der Länder und Kommunen notwendig. Immer mehr Städte und Gemeinden sind finanziell derart klamm, dass Jugendeinrichtungen schließen müssen und Jugendhilfeleistungen oder Sprachförderprogramme abgebaut werden.
Dies widerspricht den Notwendigkeiten einer zukunftsfähig und präventiv ausgerichteten Politik für Kinder und Jugendliche. Gerade die Gruppe der Risikokinder in den Kommunen, wird damit frontal getroffen. Auch hier muss politisch dringend entgegengesteuert werden, fordert Straßburg. "Wir sind in Deutschland noch weit von einem Kinderbewusstsein entfernt, das nachhaltig auf die Zukunft und das Wohl der nachwachsenden Generationen ausgerichtet ist. Die DGSPJ wird dies deshalb weiter massiv einfordern."
Quelle: Dt. Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin vom 28.06.2012
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