Familienforschung

Studie: Kinder mit nur einem Elternteil fühlen sich nicht benachteiligt

Eine neue sozialwissenschaftliche Studie der Universität Bielefeld beleuchtet erstmals aus Kindersicht, wie stark Familienstatus und soziale Lage von Kindern in Deutschland beeinträchtigen.

30.06.2011

Der Familienstatus Alleinerziehend gilt als einer der Armutsrisikofaktoren. Seit 1996 stieg die Zahl Alleinerziehender um knapp 70 Prozent auf derzeit 2,2 Millionen. Welchen Einfluss Alleinerziehung und soziale Lage aus Sicht von Kindern in Deutschland auf sie haben, hat eine repräsentative Studie der Universität Bielefeld unter der Leitung von Professor Dr. Holger Ziegler beleuchtet. Im Auftrag der Bepanthen-Kinderförderung wurden 1.053 sechs- bis 13-jährige Kinder von März bis April 2011 in persönlichen Interviews befragt.

Armutslage prägt Aufwachsen
Alleinerziehende sind deutlich besser als ihr Ruf. Sie berichten zwar von vielen Belastungen, geben diese aber nicht an ihre Kinder weiter. Den größten negativen Einfluss auf das Aufwachsen von Kindern hat in erster Linie die Armutslage selbst. Sie wirkt sich in hohem Maße praktisch auf alle Lebensbereiche, das Wohlergehen und die Belastung der Kinder aus. Bereits jedes sechste Kind aus sozio-ökonomisch benachteiligten Haushalten artikuliert, dass seine Familie nicht genügend Geld für alles hätte, was sie zum Leben braucht. „Wenn bereits Sechsjährige materielle Einschränkungen spüren und äußern, ist das bedenklich“, sagt Professor Ziegler.

Kinder von Alleinerziehenden am häufigsten gemobbt
Kinder von Alleinerziehenden berichten über genau so viel Aufmerksamkeit und Zuwendung wie ihre Altersgenossen aus Familien – sie geben sogar zu 100 Prozent an, sie „hätten immer jemanden, der sich um sie kümmert“. Dennoch werden sozial benachteiligte Kinder von Alleinerziehenden im Vergleich zu allen anderen Kindern am häufigsten ausgegrenzt: Jedes dritte Kind sozial benachteiligter Alleinerziehender wird gemobbt.

Neben der materiellen Lage wirkt sich die von den Kindern wahrgenommene Erziehungspraxis – und nicht der von den Eltern angegebene Erziehungsstil – auf alle Lebensbereiche der Kinder wie Wohlergehen, Selbstwirksamkeit und Belastung entscheidend aus. Dabei erleben Kinder aus benachteiligten und alleinerziehenden Familien genauso sehr eine interessierte und zugewandte Erziehungspraxis. Das widerlegt das Vorurteil, wonach in benachteiligten Milieus oder bei Alleinerziehenden keine gute Erziehung praktiziert wird. Es ist ein wichtiges Ergebnis der Studie, dass die Erziehungspraxis überwiegend nicht durch die Schichtzugehörigkeit oder den Familienstatus Alleinerziehend bestimmt wird.

Soziale Lage beeinflusst Fähigkeiten und Belastung
Kinder aus ökonomisch benachteiligten Haushalten schätzen ihre Fähigkeiten schlechter ein als privilegierte. Sie trauen sich häufig weniger zu und haben von Anfang an signifikant schlechtere Noten. Kinder aus privilegierten Familien bekommen selbst dann bessere Noten, wenn sie ihre Fähigkeiten im Vergleich zu sozial benachteiligten Kindern schlechter einschätzen. Welche Fähigkeiten sich Kinder zutrauen, hängt auch davon ab, ob es den Eltern gelingt, eine fördernde, anregungsreiche Umwelt herzustellen. „Damit müssen keine teuren Ausflüge verbunden sein, sondern es geht um eine abwechslungsreiche Freizeitgestaltung wie der gemeinsame Waldspaziergang oder Spielplatzbesuch“, verdeutlicht Professor Ziegler.

Ob Kinder emotional belastet sind, ist ebenfalls primär von der sozialen Lage abhängig. Gut ein Viertel der Kinder aus sozial benachteiligten Millieus gibt an, sich emotional belastet zu fühlen. Der Familienstatus Alleinerziehend wirkt hierbei noch verstärkend: So geben Kinder von sozial benachteiligten Alleinerziehenden mit 22 Prozent am häufigsten an, „oft traurig zu sein, ohne zu wissen warum“.

Glauben an die eigenen Fähigkeiten

Kinder äußern ein hohes Selbstwirksamkeitsempfinden: Zwischen 70 und 80 Prozent bejahen, „Probleme lösen zu können“ und „sich zu helfen zu wissen“. Dabei ist das Selbstwirksamkeitsempfinden bei Kindern von sozial benachteiligten Alleinerziehenden tendenziell sogar noch höher als bei privilegierten. Dies spricht dafür, dass die Kinder offenbar früh lernen, mit Einschränkungen und Schwierigkeiten zurechtzukommen.

Bedürfnisse sozial benachteiligter Kinder
Die Studie hat gezeigt, dass das Gelingen einer fördernden, anregungsreichen Umwelt stark von der sozialen Lage der Eltern abhängig ist. Dies unterstreicht die Relevanz von nicht-formellen Bildungsangeboten, wie sie das Kinder- und Jugendwerk „Die Arche“ e.V. seit 1995 an ihren Standorten bundesweit bietet. „Ob Tanzen, Reiten, Ausflüge oder die Feriencamps – eine sinnvolle Freizeitgestaltung kompensiert die strukturelle Benachteiligung von Kindern, die in Armut aufwachsen und liefert ihnen wichtige Impulse für ihre Entwicklung“, berichtet Bernd Siggelkow, Gründer und Leiter der Arche. Einen Beitrag dazu leistet seit 2008 auch die Bepanthen-Kinderförderung. Sie organisiert und finanziert jährlich wechselnde Freizeitangebote, die auf sozialwissenschaftlichen Erkenntnissen, was Kinder brauchen, basieren. In diesem Jahr bietet sie von Mai bis September an fünf Arche-Standorten Kinderkochkurse an. Unter Anleitung eines erfahrenen „Kinderkochs“ wird wöchentlich mit bis zu zwölf Kindern je Kurs gekocht. Die Kinder lernen dabei spielerisch eine gesunde Ernährung und gute Esskultur kennen. Darüber hinaus plant Bayer auch in diesem Jahr eine Spende für die Arche.

Quelle: Bayer AG

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