Kinderschutz

Hildesheimer Professorin kritisiert fehlende Lehrveranstaltungen zum Umgang mit sexuellem Missbrauch

Wer ist vor Ort Ansprechpartner für Betroffene? Wie werden Fachkräfte, Eltern, Mitschüler einbezogen und informiert? Zu wenig werde der Umgang mit sexuellem Missbrauch bisher in der Aus- und Fortbildung von pädagogischen Fachkräften thematisiert, kritisiert Dr. Meike Sophia Baader, Erziehungswissenschaftlerin an der Uni Hildesheim.

20.02.2013

Dass Niedersachsen als erstes Bundesland seit 2012 eine Anlaufstelle für Opfer und Fragen sexuellen Missbrauchs und Diskriminierungen in Schulen eingerichtet hat, sieht Baader als wichtiges Signal. Innerhalb der ersten Monate sind „mehr als 100" Anrufe von Lehrern, Schülern und Eltern eingegangen, so das Niedersächsische Kultusministerium im Januar. Sie hatten allgemeine Fragen zu sexuellem Missbrauch, Mobbing, Cybermobbing und Diskriminierung. Es ging aber auch immer wieder um Einzelfälle. Kinder fühlen sich nicht nur von Lehrern schikaniert, sondern oft auch von Mitschülern. Neue strafrechtliche Ermittlungen hätten sich aus den teils anonymen Hinwiesen bislang noch nicht ergeben. Derzeit laufen rund 20 Disziplinarverfahren gegen Pädagogen, weil sie Schüler belästigt oder missbraucht haben.

„Wir brauchen niedrigschwellige Angebote für Betroffene“, sagt Baader. Welche Beratungsstellen gibt es in der Region überhaupt und an wen kann man sich wenden? Es muss „ein Netzwerk an Anlauf- und Beratungsstellen geknüpft werden“, so Baader. Sie hat in der Ethikkommission der „Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft" mitgewirkt, die 2010 eingerichtet wurde. Deren Ergebnisse zeigen, dass das Thema interdisziplinär betrachtet werden muss. Es gebe eine tendenzielle Blindheit der Pädagogik gegenüber Machtverhältnissen. In der Forschung hinkt Deutschland im internationalen Vergleich hinterher.

Zu wenig werde der Umgang mit sexuellem Missbrauch bisher in der Aus- und Fortbildung von pädagogischen Fachkräften thematisiert, kritisiert die Hildesheimer Professorin. Es dürfe nicht sein, dass Einrichtungen, die ihre Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zu Fortbildungen schicken, automatisch der Unterstellung ausgesetzt sind, dass ihre Einrichtung „ein Problem“ habe. Dies ist aber leider oft der Fall. Im pädagogischen Alltag sind „professionsethische Richtlinien“ erforderlich, zu denen etwa der reflektierte Umgang mit Distanz und Nähe in pädagogischen Beziehungen gehört.

„Zugleich müssen wir uns vor einem Generalverdacht gegenüber Männern hüten. Hier dürfen wir nicht vorverurteilen, wie es bisher häufig geschieht“, sagt Baader.

An der Universität Hildesheim werden die Lehrveranstaltungen zum Thema von Studierenden stark nachgefragt. So hat Studentin Lisa Quasthoff in ihrer erziehungswissenschaftlichen Abschlussarbeit die aktuellen Vorfälle in pädagogischen Institutionen untersucht und die Bedingungen in zwei Internatsschulen miteinander verglichen. „Nähe, Distanz, Macht und Sexualität als Grundthemen pädagogischer Arbeit müssen in der Ausbildung und in pädagogischen Einrichtungen verstärkt reflektiert werden“, so eines ihrer Ergebnisse. „Kenntnisse, über besondere Risikostrukturen sind wichtig, so können einerseits besonders autoritär und hierarchisch strukturierte Organisationen Risiken bergen, andererseits unklar und diffus aufgestellte“, ergänzt Baader.

Pauline Karch hat sich in ihrem Studium der Erziehungswissenschaften an der Uni Hildesheim in ihrer Masterarbeit mit Präventionskonzepten befasst. „Prävention beginnt im Erziehungsalltag“, sagt die 24 Jährige. „Kinder müssen darin gestärkt werden, Nein zu sagen und lernen, was Geheimnisse und Grenzen sind und wo sie sofort Hilfe erhalten.“ Ihre Untersuchungen zu präventiven Projekten in Kindertageseinrichtungen haben gezeigt, dass durch Fortbildungen, geschultes Personal, Elternarbeit und Projekte für Kinder eine umfassende präventive Arbeit geleistet werden kann. „Ein einmaliges Projekt nur für Kinder reicht nicht. Die Erwachsenen müssen mit ins Boot geholt werden“, sagt Karch. „Denn kein Kind kann sich selber schützen.“

Promotionen und Forschungsprojekte in Hildesheim

In Hildesheim entstehen derzeit mehrere Promotionen, etwa zu „Schutzkonzepten und Frühen Hilfen“ und zur „Geschichte der Sexualaufklärung“. Julia Gebrande untersucht in einem Kooperationsprojekt der HAWK und der Universität, wie Kinder mit Missbrauchserfahrungen stabilisiert werden können und welche Möglichkeiten der Prävention es gibt.

Zwei weitere – vom Bundesforschungsministerium finanzierte – Forschungsprojekte der Universität Hildesheim befassen sich am Institut für Sozial- und Organisationspädagogik – in Kooperation mit dem Universitätsklinikum Ulm – mit sexueller Gewalt in der Heimerziehung und unter Gleichaltrigen, der sogenannten „peer violence“. Über den Umgang von Jugendlichen untereinander weiß man bisher noch wenig, dies stellt eine weitere Herausforderung an pädagogische Fachkräfte dar.

Quelle: Stiftung Universität Hildesheim vom 20.02.2013

Redaktion: Kerstin Boller

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