Gesundheit

ADHS wird auch in der Türkei immer häufiger diagnostiziert

Phänomene wie der Struwwelpeter und der Zappelphillip sind auch in der Türkei bekannt, und sie beschäftigen zunehmend Eltern, Lehrer und Ärzte. Das hat das erste deutsch-türkische Sozialforum „Inklusion International“ am Donnerstag, 14. November 2013, in Istanbul gezeigt.

27.11.2013

250 Fachleute nahmen an der Tagung teil, die das Internationale Bildungs- und Begegnungswerk e.V. in Dortmund (IBB Dortmund) gemeinsam mit der Bezirksverwaltung des Stadtteils Bagcilar durchführte.

Der Name des Tagungsorts „Engelliler Saray“ bedeutet auf Deutsch „Palast der Behinderten“. Das bringt die hohe Bedeutung der Aufgabe zum Ausdruck. Bezirksbürgermeister Lokman Cagirici unterstrich das und lobte den hohen Stellenwert, den internationaler Erfahrungs- und Wissensaustausch hat.
„Die Jugend ist unser wichtigster Schatz“, sagte Bezirksbildungsdirektor Mustafa Yilmaz. Er dankte auch dem neuen Landrat für die Rückendeckung in der Behindertenarbeit.

Aufmerksamkeitsdefizite und Hyperaktivitätsstörungen im interkulturellen Vergleich standen im Mittelpunkt der Tagung, zu der Wissenschaftlerinnen aus der Türkei und Deutschland ihre Erkenntnisse aus Forschung und Praxis vorstellten. Übereinstimmend beobachten sie, dass in ihren Ländern die Zahl der Kinder zunimmt, die an ADS oder ADHS erkranken. Doch den Weg zur richtigen Diagnose und zur gezielten Therapie finden längst nicht alle Betroffenen.

Hildegard Azimi-Boedecker (IBB) berichtete, dies sei in Deutschland besonders für Jungen türkischer Herkunft zu beobachten, die ADHS-Symptome zeigten, aber keinen Zugang zu entsprechenden Hilfen bekämen. Sie warf die Frage auf, ob das am Elternverhalten oder aber an den Einrichtungen liege.
Aus türkischer Sicht wurde deutlich, dass diese Krankheiten oft mit einem Tabu behaftet sind oder schlicht ignoriert werden. Eindringlich warb Özlem Töker aus Istanbul in ihrem Vortrag für einen Erziehungsstil, der Kindern Geborgenheit und Sicherheit gebe. Reaktionen der Mutter spiegelten dem Kind sein Verhalten. Auf diese Weise lerne es, seine Gefühle zu regulieren. „Wenn die Mutter selbst in Ohnmacht fällt, wenn ihr Kind beim Laufenlernen mal stürzt“, so die Referentin, sei das schädlich. „Die Mutter muss das Kind beruhigen und trösten.“

Ganz praktische Empfehlungen trug Michaela Kuhlmann dem interessierten Publikum mit dem „IntraActPlus-Konzept“ vor. Mit Beispielen aus ihrer Arbeit am Gemeinschaftskrankenhaus Witten-Herdecke zeigte die Gevelsbergerin anschaulich, wie ADHS-Patienten mit kleinen, geduldigen Schritten erfolgreich zu helfen ist. Videoaufnahmen von Nico und Luise zum Beispiel verdeutlichten sowohl die Defizite der kleinen Patienten als auch die Lernerfolge. Die verhaltenstherapeutische Methode dient der oft schwierigen Diagnose und der Therapie gleichermaßen. Kurze Lernphasen, viele Pausen, kräftiges Lob und  klare Grenzsetzung gehören zu dem Konzept, das auf eine Automatisierung von Verhaltensweisen setzt. „Erst dann wird Raum für kreatives Denken frei“, betonte Michaela Kuhlmann.

Die Ärztin Dr. R. Hülya Bingöl Caglayan, die an der Ruhr-Universität in Bochum lehrte, ehe sie nach Istanbul zurückkehrte, unterstrich, dass es sich bei ADS und ADHS um eine Störung des Gehirns handele und betonte, dass niemand Schuld sei. „Das Kind ist nicht schuld daran“, sagte sie, „und auch die Eltern nicht.“ Diese Botschaft kann offenbar gar nicht laut genug verkündet werden. Denn die Delegation aus Deutschland, die im Vorfeld der Tagung mehrere Einrichtungen der Kinder- und Jugendpsychiatrie in der Metropole besuchte, erfuhr immer wieder, dass diese Krankheiten stark Scham besetzt sind. Darin liegt ein Grund, dass viele Kinder in der Türkei ohne Hilfe bleiben. Das kann auch erklären, warum sie oftmals in Deutschland nicht behandelt werden.
Hildegard Azimi-Boedecker wertete das erste deutsch-türkische Sozialforum als Erfolg. Auch der Leiter des Engellili Sarayi, Cengiz Pacci, zeigte sich erfreut über die große Resonanz und den Verlauf der Veranstaltung. Beide setzen auf die Weiterführung und den Ausbau der Kontakte.

Über das IBB Dortmund:

Grenzen überwinden – dieser Leitgedanke ist für das Internationale Bildungs- und Begegnungswerk Vision und Lösungsmodell, Ziel und Mittel seiner Arbeit. Weiterbildung und internationale Begegnungen sind seit 1986 die bewährten Markenzeichen des IBB in Dortmund. Das IBB ist zertifizierter Träger der Erwachsenenbildung und der politischen Bildung sowie anerkannter Träger der Jugendhilfe. 2011 erhielt das IBB den „einheitspreis 2011 – Bürgerpreis der Deutschen Einheit“ - von der Bundeszentrale für politische Bildung. Das IBB Dortmund betreibt zusammen mit belarussischen Partnern die Internationale Bildungs- und Begegnungsstätte „Johannes Rau“ in Minsk.

Weitere Informationen unter <link http: www.ibb-d.de>www.ibb-d.de.

Quelle: Internationales Bildungs- und Begegnungswerk Dortmund vom 15.11.2013

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