EU-Jugendstrategie

Vielfalt ist ihre Stärke: Die Kommission untersucht den Wert der Jugendarbeit

Der europaweite Vergleich macht deutlich: Jugendarbeit ist ein unverzichtbares Praxisfeld für das gelingende Aufwachsen junger Menschen.

11.03.2014

"Es ist klar, dass junge Menschen eine Kernpriorität für Politikerinnen und Politiker auf EU-Ebene sind, vor allem heute, wo die ökonomische Krise Auswirkungen auf deren Zukunft hat“, schreiben die Autorinnen und Autoren. „Formale Bildung scheint der offensichtlichste Weg zu sein sicherzustellen, dass junge Menschen Zugang zu den besten Bildungsgelegenheiten haben; aber junge Menschen verbringen einen großen Teil ihrer Zeit außerhalb des Klassenraums“. Den größten, um genau zu sein.

Dass da noch mehr sein muss als Qualifikationen, wenn es um ein gutes Leben geht, und dass Humankapital (Qualifikationen) UND soziales Kapital (Sozialbeziehungen) wichtig sind – diese Annahme war der Ausgangspunkt für die Studie „Mit jungen Menschen arbeiten: Der Wert der Jugendarbeit in der Europäischen Union“.

Rund vier Jahre nach den Schlussfolgerungen des Jugendministerrats vom 28. Juni 2010 zur Jugendarbeit und der Deklaration des 1. Europäischen Kongresses über Jugendarbeit vom 10. Juli 2010 in Gent/Belgien geht es wieder darum, Jugendarbeit und ihren Wert in Europa herauszustellen. Aber dieses Mal sind die Bedingungen andere. Dieses Mal ist ein europäisches Programm für Jugendarbeit mit knapper Not auf der politischen Agenda geblieben, und unter den neuen Vorzeichen muss klar gemacht werden, welchen spezifischen Mehrwert Jugendarbeit sowie nicht formale und informelle Bildung haben.

Die Europäische Kommission wollte es also genauer wissen und analysierte das Feld in der Studie anhand der nationalen Jugendberichte, Eurobarometer-Daten, Fallstudien und Experteninterviews – die erste Studie zur Jugendarbeit, an der alle Mitgliedstaaten beteiligt sind. Erklärte Absicht der Kommission war es, anhand europaweiter Ergebnisse „der Jugendarbeit mehr Verständnis und Anerkennung entgegenbringen zu können“. Ergebnis: Trotz aller Unterschiede in Tradition, struktureller Verankerung, rechtlicher Rahmung und praktischer Umsetzung gibt es ein gemeinsames Verständnis von Jugendarbeit, ihrer Werte, Ziele, Qualität und Effekte. Und auch davon, dass letztere durch nichts zu ersetzen sind.

Gemeinsames Verständnis

 

Aber fangen wir vorne an: Über nationale Unterschiede hinweg gibt es Merkmale von Jugendarbeit, die alle teilen: Die „junge Menschen“ als Zielgruppe, „Persönlichkeitsentwicklung“ als Ziel und „freiwillige Teilnahme“ als Voraussetzung. „Empowerment“, Emanzipation, Verantwortungsbewusstsein und Toleranz sind weitere der meistgenannten pädagogischen Ziele. Als Methoden gelten nicht formale und informelle Bildung, experimentelle Pädagogik und beziehungszentrierte Erfahrungen (entweder in der Peergruppe oder mit Erwachsenen als Mentoren). Ein wichtiger Punkt ist die Fokussierung auf die Interessen und Bedürfnisse der Jugendlichen und jungen Erwachsenen sowie „die Tatsache, dass Aktivitäten in der Jugendarbeit von den Jugendlichen gemocht werden müssen, um einen positiven Effekt zu haben“.

Die Autorinnen und Autoren der Studie wagen sogar eine Typologie von Jugendarbeit anhand zweier Kriterien, die Ziele und die Zielgruppe der Jugendarbeit. Sie bilden die Achsen des idealtypischen Modells. An dem einen Ende der Zielgruppenachse liegen Formen der Jugendarbeit mit allgemeiner Ausrichtung, die sich an alle jungen Menschen richten, und am anderen Ende diejenigen, die sich an bestimmte Zielgruppen unter den Jugendlichen wenden. Die andere Achse steht für die Ziele der Jugendarbeit. Hier reicht das Spektrum vom allgemeinen Ziel der Persönlichkeitsentwicklung bis hin zu Formen der Jugendarbeit, die sich die Lösung sehr spezieller Probleme – zum Beispiel Arbeitslosigkeit – zur Aufgabe machen.

Trend: Mehr mit weniger Mitteln

 

Die Achse bietet denn auch die Folie, um Veränderungen der letzten zehn Jahre auszuloten. Denn auch hier scheint ein verallgemeinerbarer Trend auszumachen zu sein. So steigt die politische Aufmerksamkeit, aber auch die Anforderungen an Jugendarbeit. Jugendarbeit soll immer stärker zielgruppenorientiert, interventionsbasiert und auf spezifische Probleme ausgerichtet arbeiten. Vor allem die Wirtschaftskrise und die hohe Jugendarbeitslosigkeit haben signifikante Auswirkungen auf die Jugendarbeit in den Mitgliedstaaten. Jugendarbeit soll nun gezielt dazu genutzt werden, jungen Menschen bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt und im Bildungswesen zu eröffnen. Finanzmittel werden vor allem für diejenigen eingesetzt, die von sozialer Ausgrenzung betroffen sind. Organisationen, die allgemeine Jugendarbeit leisten, fällt es damit immer schwerer, öffentliche Gelder zu bekommen. In einigen Ländern ist die Weiterentwicklung der Jugendarbeit gebremst oder sogar ganz eingestellt worden. Gleichzeitig nimmt der Druck zu: Jugendarbeit soll die Verwendung der knappen Mittel umso besser rechtfertigen, vorhersagbare Resultate und erkennbare Wirkungen sowie „Investitionsrenditen“ nachweisen. Kurz: Es entsteht der Druck, mit den gleichen oder sogar geringeren Mitteln mehr und Spezifischeres zu leisten als zuvor.

Qualitätsbewusstsein

 

Gute Resultate aber, so zeigt die Studie, sind nicht einfach so zu haben. Sucht man einen gemeinsamen Nenner auch im Qualitätsbewusstsein der europäischen Jugendarbeit, ergibt sich eine ganze Reihe von Erfolgsfaktoren:

  •     eine enge Beziehung zwischen den Jugendleitern und den Jugendlichen
  •     aufsuchende Jugendarbeit mit jungen Menschen, die Hilfe und Unterstützung brauchen
  •     Flexibilität, Zugänglichkeit und Anpassung an die Bedürfnisse junger Menschen
  •     ein sicheres, förderndes Umfeld, in dem junge Menschen Lebenserfahrung sammeln, Fehler machen und mit Gleichaltrigen Spaß haben können
  •     Autonomie, so dass die jungen Menschen ihre eigene Entwicklung steuern
  •     Lernmöglichkeiten, Zielsetzung und Anerkennung der erzielten Leistungen
  •     Zusammenarbeit und Partnerschaften mit anderen Akteuren (zum Beispiel formale Bildungseinrichtungen oder Sozialarbeit).

 

Obwohl die Studie deutlich konstatiert, dass es wissenschaftlich schwierig bis unmöglich ist, „Wirkungen“ von Jugendarbeit nachzuweisen, beklagt sie den Mangel an geeigneten Untersuchungen: „Man weiß nicht genug über die Landschaft der Jugendarbeit und, noch wichtiger, über den Wert des Sektors innerhalb der EU in Bezug auf Ergebnisse und Wirkungen“.

Wirkungen

 

Ein bisschen weiß man doch: Dort, wo die richtigen Bedingungen wirksam werden können, kann eine erfolgreiche Jugendarbeitspraxis ein breites Spektrum an Effekten für junge Menschen haben. Sie ermöglicht es ihnen

  •     Fähigkeiten und Kompetenzen auf den verschiedensten Gebieten zu entwickeln (ihr Humankapital), ihre soziale Integration und ihr soziales Kapital zu stärken,
  •     bestimmte Verhaltensweisen (zum Beispiel riskante Verhaltensweisen) zu ändern und positive Beziehungen aufzubauen.

 

Über diese Resultate auf individueller Ebene hinaus ist die Jugendarbeit laut Studie „eine wichtige Komponente unseres Sozialgefüges, die Raum für Kontakt, Austausch und Engagement nicht nur unter jungen Menschen, sondern auch zwischen den Generationen bietet, sowie ein Wert an sich. Die meisten Aktivitäten in der Jugendarbeit sollen Lernerfahrungen bieten, die bereichern, Spaß machen und Gelegenheit bieten, etwas mit anderen gemeinsam zu machen. Diese Aktivitäten haben sozialen Wert und sollten entsprechend anerkannt werden.“

Gut zu wissen

 

Nichts, was wir nicht schon wussten. Dennoch ist es erstaunlich, dass es bei aller Unterschiedlichkeit der Systeme, die die Studie auch zeigt, der ungleichen rechtlichen, politischen und finanziellen Absicherung, theoretischen Fundierung und Professionalisierung in der Europäischen Union offenbar so große Gemeinsamkeiten gibt. Oder doch nicht erstaunlich? Immerhin findet sich das Feld europäischer „Jugendarbeit“ aus deutscher Sicht ziemlich exakt in den Paragraphen 11, 12 und 13 des Sozialgesetzbuches VIII - Jugendarbeit, Jugendverbandsarbeit und Jugendsozialarbeit - wieder. In Deutschland wissen wir, wie wichtig und erfolgreich eine große Bandbreite wie auch Spezialisierung von Trägern, Traditionen, Theorien, Zielgruppen und Methoden der Jugendarbeit sein kann – es ist eine ihrer Stärken. Wenn die Autorinnen und Autoren der Studie also mit Bick auf notwendige künftige Forschung die verwirrende Vielfalt der Jugendarbeit beklagen - einfacher wird es nicht werden.

Die Studie und die Case Studies sind hier online abrufbar.

Quelle: Dr. Helle Becker im Auftrag von JUGEND für Europa

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