Jugendpolitik

Geballte Erfahrung: Peer Learning in Sachen Jugendpolitik

Im dritten Seminar des Multilateralen Peer Learning-Projektes zur Jugendpolitik wurde deutlich: Alle haben andere Systeme, aber alle die gleichen Sorgen.

28.05.2013

Prag, erst recht im Sonnenschein, ist eine Reise wert. Aber die rund 50 Teilnehmerinnen und Teilnehmer des 3. Seminars zur Jugendpolitik waren nicht zum Vergnügen hergekommen. Man traf sich um mit dem Thema  „Sektorübergreifende Zusammenarbeit“ das vorerst letzte Kapitel des Multilateralen Peer Learning-Projektes - eine Initiative des Bundesjugendministeriums - zu bearbeiten.

Nachdem es beim ersten gemeinsamen Seminar im letzten Jahr in Berlin darum gegangen war, sich über die Jugendpolitik auf der lokalen Ebene auszutauschen und man sich danach im November 2012 in Rotterdam über grundsätzliche Prämissen einer „eigenständigen“ und „positiven“ Jugendpolitik  verständigte, ging es in dieser dritten Runde um ein zentrales Element der Umsetzung der EU-Jugendstrategie, der ressorts- bzw. sektorübergreifenden Zusammenarbeit. Der stellvertretende Jugendminister Tschechiens steckte schon in seiner Begrüßung die Ziele hoch:  Es gehe es nicht nur darum, den Geist anzuregen, sondern auch die europäische Jugendpolitik, sagte er. Um das Interesse der Europäischen Kommission und der Partnerschaft zwischen EU-Kommission und Europarat musste er dabei gar nicht mehr werben – beide hatten Vertreterinnen zu diesem 3. Zusammentreffen im Rahmen des bisher einmaligen Peer Learning-Projektes auf europäischer Ebene geschickt.

Die für Jugend zuständigen Ministerien aus Deutschland, Frankreich, die Niederlande, Schweden, die Flämische Gemeinschaft Belgiens, Litauen waren jeweils mit Delegationen aus Jugendpolitik und Jugendarbeit zum Gastgeber Tschechien angereist. Alle hatten dieses Mal ein Referat im Gepäck, um sich gegenseitig auf den letzten Stand jugendpolitischer Entwicklungen zu bringen. „Be concrete!“ war die Losung gewesen, die der tschechische Jugendminister vorgegeben hatte. Und konkret wurden alle.

Tschechien

In Tschechien arbeite man, basierend auf wissenschaftlichen Untersuchungen und einem breit angelegten Konsultationsprozess, an einer Neufassung der nationalen Jugendstrategie 2014-2020, berichtete Michal Urban, Abteilungsleiter Jugend im Tschechischen Ministerium für Bildung, Jugend und Sport. Außerdem habe man Indikatoren für den nationalen Jugendbericht aufgestellt und arbeite in Arbeitsgruppen, die entlang der Themen der EU-Jugendstrategie eingerichtet wurden, an deren Umsetzung. Das Ziel sei eine systematische sektorübergreifende Zusammenarbeit. Bisher kämen die zuständigen Ministerien zusammen, man würde aber im Rahmen verschiedener jugendpolitischer Projekte bald auch die Verwaltung, Nicht-Regierungsorganisationen und Wissenschaftler miteinbeziehen.

Frankreich

Relativ frisch sind auch entsprechende Entwicklungen in Frankreich. Seit Februar dieses Jahres gibt es den vom neuen Staatspräsidenten verabschiedeten Aktionsplan „Prioritée Jeunesse“ („Priorität Jugend“), der 47 jugendpolitische Maßnahmen enthält, die in unterschiedlichen Ressorts umgesetzt werden sollen.  Das ist neu für Frankreich, wo Jugendpolitik traditionsgemäß Freizeitpolitik war. Die Ansiedlung beim Staatspräsidenten macht es möglich, alle 24 Ministerinnen und Minister auf den Plan zu verpflichten. Virginia Mangematin aus dem Französischen Ministerium für Sport, Jugend, nicht formale Bildung und Zivilgesellschaft, ist optimistisch: „Wir haben den politischen Willen, wir haben den Aktionsplan, nun kommt die Umsetzung“, hofft sie. Davor aber stehen zu klärende unterschiedliche Zuständigkeiten der nationalen und der regionalen Ebene. Auch in Frankreich, wie in anderen Ländern, ist diese Zusammenarbeit also noch eine Baustelle.

Litauen

Litauen bezeichnet sich selbst als jugendpolitischer „Teenager“. Aber auch Litauen hat eine Strategie festgelegt, die bis 2019 die nationale Jugendpolitik bestimmt. 2013 ist das letzte Jahr des laufenden Aktionsplans – auch hier wird neu geplant.  Interministerielle Zusammenarbeit aber, so Kristina Dambrauskaite aus der Abteilung Jugend des Litauischen Ministeriums für Soziale Sicherheit und Arbeit, bestehe bisher „nur auf dem Papier“.

Niederlande

Jan van der Burg vom Niederländischen Sozialministerium betonte die lange Tradition der Jugendwohlfahrt in Holland. Im Gegensatz zu Frankreich lag hier bisher der jugendplitische Schwerpunkt auf der Jugendsozialarbeit. „Jugendarbeit und nicht formale Bildung spielten keine große Rolle“, erläuterte er. Insofern erfolge in den Niederlanden zurzeit ein Paradigmenwechsel. Jugendpolitik dürfe nicht mehr problemzentriert agieren, sondern müsse positiv, ganzheitlich und für alle Jugendlichen da sein. Auch eine sektorübergreifende Zusammenarbeit auf nationaler Ebene habe im Bereich Jugend bisher nur im Hinblick auf Problemlangen junger Menschen stattgefunden. Den Niederlanden stehen tiefgreifende Veränderungen bevor. Bis 2015 soll das Jugendhilfesystem dezentralisiert organisiert werden – dann liegen jugendpolitische Entscheidungen und Umsetzung ganz in der Hand der Kommunen.

Deutschland

Für Deutschland stellte Julia Hiller vom Bundesjugendministerium das Konzept einer „Eigenständigen Jugendpolitik” und den Plan einer „Allianz für Jugend“ vor. Sie berichtete außerdem von dem Vorhaben, einen „Jugend-Check“ einzuführen, mit dem alle gesetzlichen Vorhaben und Politik-Initiativen daraufhin geprüft werden sollen, welche Auswirkungen sie auf Kinder und Jugendliche haben. Für das Vorhaben, das zunächst auf Bundesebene geplant ist, soll auch in den Bundesländern und Kommunen geworben werden. „Kinder und Jugendliche sollen ein Argument werden“, begründet Julia Hiller die Idee. Es soll ein Bewusstsein dafür geschaffen werden, was politisches Handeln für die Zukunft der nächsten Generation bedeuten kann.

Belgien

Auch die Flämische Gemeinschaft in Belgien hat eine Jugendstrategie, die eine mit anderen Ressorts koordinierte Politik unter der Federführung des Jugendministers vorsieht, berichtete Els Cuisinier von der Flämischen Agentur für lokale Jugendpolitik. Sie thematisierte die Zusammenarbeit von nationaler und lokaler Politikebene. Geplant sei ein Monitoring-System, mit dem alle drei Jahre die Situation der Jugendlichen und die Umsetzung der Jugendpolitik in den Kommunen geprüft werden solle. Ungeachtet dessen gebe es gleichzeitig einen Wechsel von einer steuernden, kontrollierenden Politik zu einer partnerschaftlichen, unterstützenden politischen Zusammenarbeit mit den Kommunen. Dies sei jedoch noch ein Lernprozess.

Schweden

Als Star des jugendpolitischen Fortschritts wurden die Schweden gehandelt. Sie haben seit 1994 ein umfassendes Jugendgesetz, das aktuell mit der Beteiligung von Jugendlichen überarbeitet wird. Es sah und sieht sektorübergreifende Zusammenarbeit auf nationaler Ebene und zwischen nationaler und kommunaler Ebene vor. Jugendliche, so Elisabeth Modée vom schwedischen Jugendministerium, würden in der schwedischen Politik als gesellschaftliche Ressource gehandelt, das sei der Leitgedanke, um das Beste für sie und mit ihnen zu erreichen. 

Das war geballte Erfahrung: Alle Partner im Peer Learning-Projekt stehen vor einer  Erneuerung ihrer Jugendpolitik, alle vor ähnlichen Herausforderungen. Kein Wunder also, dass am zweiten Tag geradezu mühelos die Listen mit Erfolgsfaktoren für eine gedeihliche Zusammenarbeit gefüllt wurden. Man war sich einig, dass man etwas zu bieten habe, und dass gemeinsame Visionen und gleiche Rechte Voraussetzungen für eine Zusammenarbeit seien. Klar wurde aber auch, dass ohne einen politischen Willen und entsprechender formaler Unterstützung von möglichst hoher Stelle eine Kooperation nur vom guten Willen der Beteiligten abhängt. Und außerdem, so der Tenor, bräuchte jede Zusammenarbeit eine klar mandatierte Federführung und eine Koordinationsstelle, die diese ermögliche und unterstütze.

Kein Wunder auch, dass Lucie Lekešová aus der Abteilung Jugend der Generaldirektion Bildung und Kultur in der Europäischen Kommission das Peerlearning-Projekt lobte, hatten doch alle Länder ihre Aktivitäten in die Umsetzung der EU-Jugendstrategie eingereiht. Sie betonte, dass man die Ergebnisse des Peer Learning-Projektes in die Arbeitsgruppe Jugend des Jugendministerrats einspeisen möchte. Sie wies noch einmal darauf hin, dass man die Qualität der Jugendarbeit erhöhen wolle - sektorübergreifende Zusammenarbeit sei eine Voraussetzung dafür.

(JUGEND für Europa)

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